Hintergrund: Welche Auswirkungen das Ende des Sozialismus auf deutschem Boden hat
Wir veröffentlichen an dieser Stelle Auszüge aus dem Referat des DKP-Vorsitzenden Patrik Köbele, der im September als Gast auf die Bundesvorstandssitzung der SDAJ eingeladen war.
Was die Auswirkungen auf Deutschland angeht, habe ich eine schon benannt, nämlich die neue Normalität von Angriffskriegen, von Bundeswehreinsätzen im Ausland. Das war für den deutschen Imperialismus wichtig, denn bei aller politischen und ökonomischen Stärke, ohne militärische Komponente lässt sich nicht an die Spitze der imperialistischen Länder treten. Das ist aber nicht nur eine juristische Frage, sondern diese Kriegsführung, vor allem auch in anderen klimatischen, infrastrukturellen Bedingungen, in anderen Regionen, die muss auch trainiert sein, dass ist auch ein Aspekt, warum „unsere Freiheit am Hindukusch“ verteidigt werden muss.
Ein zweiter tiefer Einschnitt, den es aus meiner Sicht mit einer existierenden, sozialistischen DDR nicht gegeben hätte, waren die Agenda-Gesetze (Anmerkung der Redaktion: sogenannte Hartz-Gesetze, die Niedriglohn und Sozialhilfe regeln), die aus meiner Sicht den schärfsten Angriff auf die soziale Lage und das Bewusstsein der deutschen Arbeiterklasse darstellen.
Dieser Angriff war möglich, weil sich der deutsche Imperialismus mit der Zerschlagung der industriellen Basis der DDR, mit dem dramatischen Abbau von Betrieben und Arbeitsplätzen eine Art „Hinterhof“ im eigenen Land geschaffen hatte. Dies eignete sich und eignet sich bis heute als Mechanismus zum Ausspielen verschiedener Teile der Arbeiterklasse gegeneinander.
De-Industrialisierung
Um die Dramatik und das Ausmaß dieser Zerschlagung zu verstehen, macht es schon Sinn ein paar Zahlen zu nennen:
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen die hergestellt wurden, schrumpfte allein in den Jahren 1990 und 1991 um sage und schreibe 40% – ich glaube, dass solche Einbrüche sonst nur im Zusammenhang der Zerstörung durch Kriege zu verzeichnen waren. Bei der industriellen Produktion war dieser Prozess noch stärker, sie sank bis Ende 1991 um ca. 60%.
Bis Ende 1994 wurden von 12.354 durch die Treuhand verwaltetet Betriebe 66% privatisiert, über 30% stillgelegt und lediglich 2,5 % kommunalisiert. Von 1994 bis 1998 wurden weitere 4.370 Betrieb privatisiert.
In der DDR waren 9,7 Millionen Menschen erwerbstätig, das entsprach einer fast vollständigen Vollbeschäftigung (alleine 92 % aller Frauen waren erwerbstätig und spielten somit nicht mehr die Rolle einer industriellen Reservearmee). Bis Ende 1991 sank diese Zahl der Beschäftigten von 9,7 Millionen auf 6,8 Millionen. Die Frauenerwerbstätigkeit sank bis 1992 auf 73 Prozent.
Diese Entwicklung war 1991 nicht beendet, die Zahl der Erwerbstätigen sank bis zum April 1995 nochmal auf 5,31 Millionen. Wieder besonders betroffen, die Industriebeschäftigten, deren Zahl um sage und schreibe 80 % zurückging.
Arm trotz Arbeit
Was an Arbeitsplätzen übrig blieb, war oftmals Teilzeit, oftmals prekär, der Anteil der Niedriglöhne stieg in Ostdeutschland von 12 % im Jahre 1991 auf 21 % in 2012. Besonders betroffen junge Menschen, in der Altersgruppe der 15-20 jährigen betrug der Niedriglohnanteil im Jahr 2010 54,6 % in der Altersgruppe der 20-25 jährigen 34 %.
Der Rückgang der Arbeitsplätze, die schlechten Bedingungen führten zu einer riesigen Abwanderung, zwischen 1989 bis 2011 umfasste die Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland 4,5 Millionen Menschen, als Wanderungsverlust, also die Zuwanderung gegengerechnet blieb ein Minus von 1,8 Millionen Menschen. Dazu kamen noch die dauerhaften Ost-West-Pendler, deren Zahl bis Mitte der 2000er Jahre auf 500.000 anstieg. Da es sich dabei vorwiegend um jüngere Menschen handelte, führte dies auch zu einer Erhöhung des Durchschnittsalters der Menschen in Ostdeutschland.
Blühende Landschaften?
Diese Abwanderung führte dann auch zu großen Wohnungsleerständen, vor allem in der sogenannten „Platte“. In Kombination mit dem radikalen Bruch in der Städtebaupolitik und der Privatisierung von Wohnungsbeständen, führte das Vielfach zu Tendenzen der Ghettobildung.
Was meine ich mit dem radikalen Bruch in der Städtebaupolitik. Ende der 80iger Jahre befand sich die DDR in der Endphase eines gigantischen Programm zur Schaffung von Wohnraum, um die Bedürfnisse nach Wohnraum zu befriedigen wurde vor allem mit industriell zu fertigenden Bauteilen für Wohnblöcke, also der sogenannten „Platte“ gearbeitet. Zentral dabei war aber immer, dass es in relativ kleinen Plattenbaubezirken ebenfalls Sozialeinrichtungen wie Kindergärten, Jugendclubs, die HO-Gaststätte und Einkaufsmöglichkeiten gab. Dieser Ansatz wurde dann unter Profitbedingungen sehr schnell zerschlagen, erkennbar heute oft als Ruinen inmitten der Platte.
Überhaupt war die Zerschlagung des Zugangs zu Kultur und die Abwicklung der Kultur selbst ein weiteres Wesensmerkmal der Veränderungen im Gebiet der DDR. Bücher, Theater-, Opernbesuche etc. waren vielfach subventioniert bzw. bei Theater und Oper etc. gab es Kontingente die Betrieben und Belegschaften zu günstigen Konditionen zur Verfügung standen.
Privatisierung überall
Genau so radikal war der Kahlschlag im Bildungswesen. Einem einheitlichen Bildungswesen von der Kindergrippe bis zur Berufsausbildung zum Studium wurde die Mehrgliedrigkeit übergestülpt. Der polytechnische Ansatz, der der Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit diente und „Achtung vor der Arbeit“ als Lernziel ganz praktisch in die Schulbildung integrierte, wurde beseitigt. Selbst Wikipedia kommt hier nicht um eine positive Würdigung, wir lesen dort: „Durch den hohen Anteil der Naturwissenschaften, durch Verwissenschaftlichung und Praxisbezug erreicht der Unterricht der DDR-Schule der 1970er Jahre allerdings ein von den westlichen Industrienationen unerreicht hohes Niveau.“
Ein radikaler Bruch wurde auch im Gesundheitswesen vollzogen. Die DDR hatte ein einheitliches Gesundheitswesen ohne Mehr-Klassen-Medizin, mit einem System von Polikliniken, in denen in der Regel die unterschiedlichen Ärzte und Fachärzte gebündelt waren. Das waren staatliche Einrichtungen, vor allem zur ambulanten Behandlung mit angestellten Ärzten. Diese wurden mit der Konterrevolution gesetzlich, zu Gunsten von Einzelärzten stillgelegt und das Gesundheitssystem dem kapitalistischen Markt vorgeworfen. Das war ein gefundenes Fressen für die Privatisierung – das erzeugte dann auch Privatisierungsdruck im Westen.
Patrik Köbele
…ist 57 Jahre alt und seit 2013 Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei DKP, für die er neben seinem Job als IT-Berater auch hauptamtlich arbeitet. Als Jugendlicher war Patrik Schülersprecher und später Jugendvertreter bei Mercedes Benz. Später arbeitete er für die SDAJ, deren Vorsitzender er von 1989 bis 1994 war.
Dieser Artikel ist aus der aktuellen POSITION, dem Magazin der SDAJ. Du kannst es für 10€ jährlich abonnieren unter position@sdaj.org