Erklärung der AG Internationalismus der SDAJ
Ende letzter Woche gelang es der Syrisch Arabischen Armee und ihren Verbündeten auch die letzten Städte und Ortschaften in der Umgebung von Aleppo zu befreien. Nachdem die diversen Gruppen von islamistischen Kämpfern im Dezember 2016 aus der Stadt selbst vertrieben wurden, nutzten sie die nach wie vor von ihnen in Teilen kontrollierte Umgebung als Ausgangspunkt für weitere Angriffe. Auch wenn der blutige Stadtkampf 2016 sein Ende fand, regneten bis vor kurzem Granaten wie Raketen auf Aleppos Außenbezirke und wichtige Versorgungs- wie Transportwege blieben abgeschnitten oder unpassierbar. Dieser Zustand ist jetzt Geschichte, stattdessen rückt der von der Bevölkerung ersehnte Wunsch nach Normalität in weitere Nähe.
Während derartige Meldungen am Sonntag auf den Straßen von Aleppo spontane Freudenfeiern auslösten, fand diese Information in der Presselandschaft der BRD nur geringe Resonanz. Erst am Montag kam es zu Randmeldungen die „Gebietsgewinne“ vermerkten und das ganze Thema eher vom Standpunkt der Rebellen als vermeintliche Niederlage aufgriffen. Diese Berichterstattung folgt einem seit Jahren etablierten Muster: Die bereits seit langem gänzlich von Islamisten dominierten Rebellen werden nahezu konsequent als „bewaffnete Opposition“ kategorisiert und während die Kriegsführung von Syrien wie Russland besonders kritisch unter die Lupe genommen wird oder sogar Informationen unterschlagen werden, wird bei jener „Opposition“ durchgehend ein Auge zugedrückt.
Als die Schlacht von Aleppo 2012 ihren Anfang nahm, war es mitnichten ein Aufstand im Inneren, sondern vielmehr ein Einsickern von Kämpfern aus anderen Gebieten die sich schnell im Ostteil der Stadt festsetzen konnten. Ein Umstand den beispielsweise auch der in Aleppo lebende syrische Künstler Issa Touma in seinem dokumentarischen Kurzfilm „9 Days – From My Window In Aleppo“ darstellt. Organisiert waren diese Kämpfer in einem Sammelsurium an verschiedenen Gruppen – darunter die Al-Nusra Front, die Nour al-Din al-Zenki Bewegung, die Armee des Islam oder Ahrar al-Sham. Diese Aufsplitterung und Vielfalt ist aber weniger Merkmal inhaltlicher Differenzen, sondern vielmehr Ausdruck der internen Reibereien zwischen den jeweiligen Anführern um Kontrolle wie Einfluss sowie finanzielle Mittel. Ideologisch waren und sind die verschiedenen Kämpfer Anhänger islamistischer Vorstellungen unterschiedlicher Schattierung.
Als die Schlacht um Aleppo 2016 in ihre heftigste und letztlich auch entscheidende Phase eintrat, begannen Bundesregierung wie deutsche Leitmedien erneut damit den unter Druck geratenen Islamisten zumindest propagandistisch zu Hilfe zu eilen. Der blutige Häuserkampf und die wechselseitigen Bombardements wurden so umgedeutet das allein Syrien und Russland für die Situation verantwortlich gemacht wurden. Kriegsgräuel der vom Westen hofierten Islamisten verkamen im besten Fall zur Randmeldung, blutige Episoden wie die durch Rebellen belagerten Ortschaften Nubl und al-Zahraa um Aleppo wurden nahezu gänzlich ignoriert.
Unter syrischer und russischer Beteiligung wurden Fluchtkorridore geschaffen, doch Dschihadisten hinderten die Zivilbevölkerung aktiv daran Ost-Aleppo zu verlassen, mitunter auch durch Waffengewalt. Zudem wurden mehrere zur Evakuierung gedachte Buse von islamistischen Kämpfern in Brand gesteckt. Noch weniger Beachtung fand die Lebensrealität der Menschen unter islamistischer Herrschaft jenseits der unmittelbaren Kriegshandlungen. Dabei gibt es Berichte und Einschätzungen zur Genüge: Folter, öffentliche Hinrichtungen, das Horten von Lebensmitteln durch bewaffnete Gruppen, Schutzgelderpressungen, regelmäßige Entführungen und die Durchsetzung einer streng islamischen Gesetzesordnung waren Alltag im damals von Rebellen „befreiten“ Teil der Stadt. Selbst die New York Times kam im Zuge einer ausführlicheren Reportage zu dem Schluss, dass es nach dem Ende der Kämpfe und dem Abzug der Dschihadisten sowie ihrer unmittelbaren Angehörigen wohl kaum noch jemanden in der Stadt gibt der irgendetwas für diese „Freiheitskämpfer“ übrig hat.
Die in Deutschland vorherrschende Berichterstattung erfolgt aber nicht aus Böswilligkeit oder Zufall, vielmehr ist sie Ausdruck der Interessen der Herrschenden. Um eine aggressivere Außen- und Sicherheitspolitik gegen Russland und seine Verbündeten durchzudrücken sowie selbst den eigenen Anspruch auf „mehr Verantwortung“ zu unterstreichen, wird auch aktuell alles daran gesetzt den Vormarsch syrischer Truppen in Idlib in ein schlechtes Licht zu rücken. Dies ist umso brisanter als das es in den vergangenen Wochen neben den Kämpfen zwischen syrischer Armee und Islamisten auch zu direkten Konfrontationen zwischen syrischen und türkischen Streitkräften kam, eine Tatsache die in ihrer Konsequenz letztlich einen NATO-Bündnisfall auslösen und damit eine enorme Verschärfung des Krieges mit sich bringen kann.
Die Türkei agierte seit Beginn des Konflikts als einer der wesentlichen Unterstützer von Dschihadisten in Syrien. Zudem intervenierte die türkische Armee 2016 in Afrin und 2019 in Nordostsyrien militärisch um gegen die kurdische Selbstverwaltung im Norden des Landes vorzugehen. Seitdem tritt die Türkei zunehmend als die eigentliche Schutzmacht der islamistischen Rebellen auf und versuchte mehrmals die zerstrittenen Gruppen zu einen sowie unter die eigene Kontrolle zu stellen. Als Besatzungsmacht kontrolliert der türkische Staat zudem völkerrechtswidrig mehrere syrische Gebiete in denen er mit ethnischen Säuberungen und einer Integration in die türkische Wirtschaft wie Politik die längerfristige Abtrennung der Territorien vollzieht.
Rückendeckung erhält die Türkei dabei zu großen Teilen aus der BRD. Die Bundesregierung beteiligt sich nicht nur indirekt an Kriegsverbrechen und deren Legitimation, sondern stärkt die Türkei auch in ihrer gefährlichen Eskalationspolitik in Syrien. Deutsches Kriegsgerät füllt bereits seit Jahren das Arsenal der türkischen Streitkräfte und kam bereits in Afrin ausgiebig zum Einsatz. Aktuelle Bilder aus Idlib zeigen Leopard-2 Panzer die von der türkischen Armee sowie ihren dschihadistischen Verbündeten ins Feld geführt werden, ein Umstand der den Kriegstreiber und BILD-Schreiberling Julian Röpcke erst kürzlich in Freudenstimmung versetzte. Aber auch jenseits militärischer Angelegenheiten gibt es Unterstützung. Um sich und der deutsch dominierten EU weitere Geflüchtete vom Hals zu halten wendet die Bundesregierung seit Jahren verstärkt Gelder für Erdogan und sein Regime auf, das dadurch nicht nur im Inneren gestärkt wird sondern auch seine Kriegspläne besser umsetzen kann.
Das in Idlib aufgrund der durch die Kriegshandlungen flüchtenden Menschen eine humanitäre Katastrophe droht steht außer Zweifel. Doch muss dabei klar sein das im Sinne des Imperialismus humanitäre Gründe höchstens vorgeschoben werden um die eigenen Ziele zu erreichen. Für Deutschland nimmt die weitere Abschottung der EU gegenüber Flüchtlingen oberste Priorität ein. In diesem Zusammenhang stört es auch nicht das die Türkei in Idlib nicht nur ihre eigenen islamistischen Söldner ins Feld führt, sondern auch mit dem de-facto Al-Qaida Ableger Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) kooperiert. HTS ist als Zusammenschluss an Dschihadisten die politisch wie militärisch dominante Kraft in der Region, das Agieren der türkischen Armee vor Ort wie beispielsweise die Errichtung türkischer Beobachtungsposten wäre ohne Absprachen zwischen den beiden Akteuren überhaupt nicht möglich gewesen. Erst letztes Wochenende äußerte Außenminister Heiko Maas auf der Siko, dass Moskau seinen Einfluss auf die syrische Regierung nutzen müsse, damit die Kampfhandlungen eingestellt würden. „Ansonsten rechnen wir damit, dass noch mehr Menschen die Region verlassen werden. Das ist etwas, woran niemand ein Interesse haben kann.“ Kurzum: Flüchtlingsbekämpfung im Interesse des deutschen Imperialismus, bewacht vom Verbündeten Türkei und durchgeführt von Al-Qaida.
Während die Herrschenden hierzulande sonst gerne den Moralapostel markieren, vernimmt man im Zuge türkischer Kriegsverbrechen keinen Pieps. Stattdessen toleriert die Bundesregierung beispielsweise die Politik der Vertreibungen und Umsiedlungen durch diplomatisch seichte Stellungnahmen. Bemüht rührselige Auftritte markieren zudem öffentlichkeitswirksam das gegenseitige Verhältnis – egal ob Selfies zwischen den Außenministern Maas und Çavuşoğlu oder das kürzlich am Rande der Siko stattgefundene freundschaftliche Treffen zwischen letzterem und Deutsche Bank Aufsichtsrat Sigmar Gabriel. Vor diesem Hintergrund sollte erneut klar sein das den deutschen Kriegstreibern bei ihren geschwungenen Reden und emotionalen Verkündungen nicht zu trauen ist. Ihnen geht es nicht um das Wohlergehen der Menschheit, sondern um Ressourcen, Handelswege, politischen Einfluss und die Stärkung ihrer weltpolitischen Ambitionen.