Über Algorithmen und die Freiheit des Internets. Ein Kommentar.
Wenige Tage vor der diesjährigen Europawahl hat das höchste Gericht dieses Landes entschieden, dass Facebook die Seite der faschistischen Partei „Der III. Weg“ wieder zu entsperren habe. Einige Monate zuvor hatte das amerikanische Unternehmen die Seite wegen Verstoßes gegen die „Gemeinschaftsstandards“ gesperrt. Unbestritten ist es ein Skandal, dass Faschisten überhaupt legal ihr Unwesen treiben dürfen. Aber sollte es nicht auch zu denken geben, wenn es nicht der Staat ist, der ihre politische Arbeit einschränkt, sondern ein privater Monopolkonzern – nach seinen selbst aufgestellen Regeln, die nicht der Hauch einer demokratischen Legitimation umweht?
Der Einfluss der Algorithmen
Ominöse „Gemeinschaftsstandards“ sind als eine Art offene Zensur aber derzeit noch die Ausnahme, wesentlich wirksamer ist die verdeckte Zensur über Algorithmen. Es ist leicht ersichtlich, dass für die Meinung, welche sich ein/e InternetnutzerIn bildet, entscheidend ist, welche Informationen der Person in welcher Reihenfolge bei Google, Youtube, Facebook & Co angezeigt werden. Da es sich bei allen großen Internetkonzernen um profitorientierte Monopolisten handelt, ist es unschwer zu erraten, dass diese Algorithmen – welche mit der unfassbar großen Datenmenge, die besagte Konzerne den NutzerInnen abverlangen, arbeiten – in erster Linie der Erwirtschaftung von Gewinn dienen. Interneteinträge oder -seiten können noch so informativ sein, ob sie dem bei Google Suchendem angezeigt wird, hängt davon ab, ob Google damit Geld verdient. Doch nicht nur das. Kein Konzern ist in den letzten Jahren häufiger ins Weiße Haus eingeladen worden als Google. Die beherrschenden Konzerne im Internet haben ihren Sitz nahezu vollständig in den USA und pflegen allesamt enge Kontakte zur Regierung des dominierenden Imperialismus unserer Zeit. Es wäre verwunderlich, wenn angesichts dessen keine politischen Erwägungen Eingang in die Algorithmen der Monopolisten finden.
Wessen Regeln?
Gibt man z.B. „China Internet“ bei Google ein, fügt die Suchmaschine als ersten Vorschlag, wie die Suche weitergehen könnte, „Zensur“ an, beim gleichen Spielchen mit Kuba belegt der Begriff immerhin den dritten Platz. Die unter diesem Pfad hauptsächlich zu findende Propaganda ist altbekannt: Im „freien“ Westen nutzen „freie“ Menschen „freies“ Internet, Schurkenstaaten wie Kuba oder die VR China müssen spiegelbildlich ihrer „unfreien“ Bevölkerung auch ein „unfreies“ Internet vorsetzen. Unabhängig davon, dass in Kuba nur eine verschwindend geringe Anzahl an Internetseiten nicht erreichbar ist, richtet sich Kritik im Wesen dagegen, dass staatliche Behörden statt privater Konzerne den Zugang der Bevölkerung zu Internetinhalten regeln. Doch warum sollten staatlich aufgestellte Regeln eine größere Freiheitseinschränkung darstellen als profitorientierte Algorithmen und privatwirtschaftliche „Gemeinschaftsregeln“? Es kommt freilich darauf an, von welchem Staat diese Regeln aufgestellt werden, ist es aber wie im Falle Kubas ein sozialistischer, dann eignet sich die Bevölkerung über selbst aufgestellte Regeln das Internet gerade in ihrem Sinne an, anstatt den Regeln einiger Monopolherren ausgeliefert – und damit gerade nicht frei – zu sein. Das Internet als vollkommen einschränkungslos (und damit auch als rechtsfreie Zone) ist im Kapitalismus eine Illusion und angesichts des erbitterten weltweiten Klassenkampfes in Ländern wie Kuba oder China derzeit eine Utopie.
Daniel, Trier
Die Mär von der „digitalen Autonomie Europas“
Sich über die Macht der Internetmonpolisten aus Übersee aufzuregen gehört für die hiesige herrschende Klasse fast schon zum guten Ton. So bliesen nach den Snowden-Enthüllungen von Sigmar Gabriel über Christian Lindner bis hin zum Chef des für seine reaktionäre Propaganda bekannten Springer-Verlages alle ins selbe Horn: Es bräuchte eine „digitale Autonomie Europas“, der „ungezähmte Datenkapitalismus“ müsse gebändigt werden und vieles mehr. Tatsächlich ist eine wie auch immer geartete Zerschlagung der Marktmacht Googles oder Facebooks immer wieder aus EU-Kreisen zu hören. Ändern würde sich für die BürgerInnen aber genauso wenig, wie wenn zukünftig eine EU-Armee statt der US-Armee im Interesse der Konzerne andere Länder überfällt. Auch hinter einem „EU-Google“ oder „EU-Facebook“ würden Profitinteressen stehen, nur dass sich die europäischen Imperialisten einen größeren Einfluss auf die Manipulation der Bevölkerung erhoffen, als es derzeit der Fall ist.