Krisenzeiten in Israel und Palästina

veröffentlicht am: 31 Mai, 2020
Wahlen, Corona und Besatzung

Am 20. April einigten sich der bisherige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Oppositionsführer Benny Gantz letztendlich darauf eine gemeinsame Einheitsregierung zu bilden. Dem vorausgegangen war über ein Jahr politisches Chaos im Land mit drei Wahlgängen, ohne das ein politisches Bündnis in der Lage gewesen wäre, eigenständig eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Die einst von Benjamin Netanjahu (Likud) angeführte Rechtsregierung war an mehreren Fragen zerbrochen, an den Korruptionsvorwürfen gegen Netanjahu und daran, ob der ultraorthodoxe Teil der Bevölkerung zum Militärdienst eingezogen werden solle.

Alternative der Herrschenden

Für die erste Wahl im April 2019 formierte sich gegenüber dem nationalkonservativen Likud eine politische Gegenkraft – die Allianz „Blau Weiß“. Träger waren liberale und konservativen Parteien, angeführt von Vertretern aus Medien, Verwaltung sowie dem Militär mit Generalleutnant Benny Gantz an der Spitze. Ihre WählerInnen mobilisierte „Blau Weiß“ vor allem aus den wohlhabenden und europäischstämmigen Schichten in Israel. Hauptziel war es, eine erneute Regierung unter Netanjahu unmöglich zu machen. Wirtschaftspolitisch blieb es beim hegemonialen Neoliberalismus und in der Palästina-Frage zeigte sich eine harte Haltung. Gantz brüstete sich im Wahlkampf damit,„Teile von Gaza in die Steinzeit zurückgeschickt“ zu haben, „indem er 6231 Ziele zerstörte“.

Armut, Ausgrenzung, Apartheid

Was die großen Fragen der israelischen Gesellschaft betrifft – die massiven sozialen Probleme und die Besatzung der palästinensichen Gebiete – so gibt es zwischen den beiden Lagern kaum bis keine Unterschiede. Beide vermieden es standhaft darauf einzugehen, dass die Besetzung der Gebiete den Staatshaushalt enorm belastet, während auf der anderen Seite seit Jahren Sozialabbau betrieben wird.Die Teilung Jerusalems, die Gründung eines eigenständigen palästinensischen Staates, all das sind Themen, die, sofern sie überhaupt zur Sprache kommen, von Netanjahu und Gantz abgeblockt werden. Stattdessen befürworten die beiden die Weiterführung von Annexionen im Westjordanland. Die arabisch-palästinensische community Israels – rund 20 Prozent der Bevölkerung – werden wahlweise als Feinde im Inneren betrachtet oder bewusst ignoriert, um sie aus den politischen Prozessen herauszuhalten.

Gantz contra Netanjahu?

Das der die letzten Monate als großer Gegenspieler von Netanjahu inszenierte Gantz schließlich doch eingeknickt ist, sollte vor diesem Hintergrund dann nicht mehr allzu sehr verwundern. Seinen Wählern versprach er einst, dass er niemals einem von Netanjahu geführten Kabinett angehören wird. Damit ist jetzt offensichtlich Schluss. Den Schritt nun doch in Verhandlungen mit Netanjahu zu gehen, begründete er vor einigen Wochen damit, dass er in Zeiten von Corona bereit sei „die Interessen Israels vor alles andere zu stellen“. Für Netanjahu und sein politisches wie persönliches Umfeld bedeutet dies die Rettung vor dem Aus, da damit sein Sturz und strafrechtliche Folgen entfallen. Für den Großteil der israelischen Bevölkerung und die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten bedeuten diese politischen Umstände vor dem Hintergrund von Corona insgesamt düstere Aussichten.

Reaktionäre Offensive

Neben konkreten Schritten zur Bekämpfung des Virus erließ Netanjahus Übergangsregierung bereits vor mehreren Wochen Maßnahmen, die zur zeitweiligen Schließung von Parlament und Gerichten führten. Gleichzeitig war es möglich, die Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes ungestört auszuweiten. Der Geheimdienst darf mittels Handyortung und Bewegungsprofilen vermeintlich Infizierte und deren Kontakte aufspüren – es kommt zu einem verstärkte Einsatz der Armee im Inneren.
Der seit längerer Zeit forcierte Staatsumbau in Israel nimmt damit an Geschwindigkeit rasant zu.
Mitte April erreichte die Arbeitslosigkeit in Israel den historischen Rekordwert von über einer Millionen Menschen – rund 26 Prozent der ArbeitnehmerInnen in Israel. Der Jobverlust und die teuren Lebenskosten im Land bedroht die Existenz zahlreicher Familien. Diese Auswirkungen betreffen die gesamte Arbeiterklasse Israels, vor allem aber die politisch und ökonomisch ausgegrenzte arabische Minderheit, da ihre Viertel ein schlechteres Gesundheitswesen haben und Kriminalität, Armut und Perspektivlosigkeit bereits jetzt allgegenwärtig sind.

Pandemie unter Besatzung

Für die besetzten Gebiete kommt es noch schlimmer. Die Lebensbedingungen im Westjordanland und in dem von der islamischen Hamas kontrollierten Gazastreifen, sind durch israelische Maßnahmen stark eingeschränkt. Die bis heute ununterbrochen fortgeführte Besatzungs- und Blockadepolitik hat eine weitgehend desolate Infrastruktur hinterlassen, die im Gazastreifens durch die kriegerischen Konflikte der vergangenen Jahre sogar nahezu gänzlich zerstört ist. Wichtige Medikamente und Hilfsmittel gelangen nur unzureichend und oft über Umwege durch israelische Kontrollen nach Palästina. Auch wenn im Westjordanland und im Gazastreifen mittlerweile weitreichende Schritte zur Eindämmung des Virus eingeleitet worden sind, wird die Infrastruktur bei einem vollständigen Ausbruch keine Chance haben, den betroffenen Menschen zu helfen. Im Westjordanland gibt es gerade einmal 20 Intensivmediziner und nur 120 Beatmungsgeräte. Im Gazastreifen, einem Gebiet, indem auf rund 375 Quadratkilometer gut 2 Millionen Menschen leben, stehen insgesamt 45 Intensivbetten zur Verfügung.

Widerstand als Antwort

Die Herrschenden in Israel nutzen die Situation, um demokratische Rechte einzuschränken und die Krisenlasten auf die einfachen Bevölkerung abzuwälzen. Hinzu kommt noch die völkerrechtswidrige Besetzung, die sich trotz Corona ungehindert verschärft. Protest gegen die israelische Regierung und ihre Maßnahmen formiert sich – online wie auf der Straße. Mit dabei ist auch die Israelische Kommunistische Partei, die gemeinsam mit anderen linken Gruppen und arabischen Parteien Teil der „Gemeinsamen Liste“ ist, ein Wahlbündnis, das aktuell die drittgrößte Fraktion im israelischen Parlament bildet. Die KP kämpft seit Jahren gegen Demokratie- und Sozialabbau, sowie für die Rechte der arabisch-palästinensischen Minderheit in Israel und eine Zweistaatenlösung. In diesem Zusammenhang arbeitet sie auch gezielt mit den jeweiligen GenossInnen und anderen fortschrittlichen Kräften in den palästinensischen Gebieten zusammen, um gemeinsam den Kampf für eine bessere Welt zu führen.

Leo, München

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