Sanders muss gehen, was bleibt?
Eines steht fest: der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird definitiv nicht der Sohn polnisch-jüdischer Arbeitsmigranten sein. Das Kind des New Yorker Arbeiterstadtteils Brooklyn, Bernie Sanders, ist aus dem Rennen um die Kür des Kandidaten der Demokratischen Partei ausgeschieden und musste seinem Hauptkonkurrenten, dem deutlich kapitalnäheren Ex-Vizepräsidenten Joe Biden, die Chance, Donald Trump zu entthronen, überlassen. Vorausgegangen war diesem unerwarteten Prozess eine schallende Niederlage am „Super-Tuesday“, an welchem Biden die Wählerherzen in einer Vielzahl der Bundesstaaten gewinnen konnte. Zuvor waren der Kleinstadt-Politiker Peter Buttigieg, die Milwaukee-Senatorin Amy Klobuchar sowie der Milliardär Michael Bloomberg aus der politischen Fehde ausgestiegen. Zügig kristallisierten sich die beiden Pole heraus: Sanders, Repräsentant der Parteilinken contra Joe Biden, dem Exponenten der rechtsbürgerlichen Fraktion. Biden gelang es – dies legen die Wahlergebnisse nahe – die rechte Gegnerschaft gegenüber Sanders zu einen. Auch unentschlossene Mitglieder trauen dem greisen Biden eher eine Abwahl des unbeliebten Donald Trump zu als dem von Wallstreet und „Big Oil“ verhassten Underdog. Die Parteirechte kämpfte Sanders nieder, ein Aufbruch an den Urnen blieb aus.
Abkehr vom neoliberalen Programm
Sanders war mit – für die politische Landschaft der USA – geradezu revolutionären Forderungen in den Wahlkampf gestartet. Er forderte eine staatliche Krankenversicherung, bürgte für Minderheitenrechte, wies die Außenpolitik von Trump leicht zurück, forderte Spitzensteuersätze, einen Mindestlohn von 15 Dollar, wollte eine kostenfreie Bildungslandschaft schaffen, stritt für fairen Handel (bspw. mit der VR China) sowie für eine Kinderbetreuung, darüber hinaus titulierte er Trump öffentlich als „rassistischen Ausländerfeind“ – kurzum: seine politische Agenda wandte sich gegen die schlimmsten Verwerfungen des neoliberalen Regimes seit Ronald Reagan und sollte mit einer Reformpolitik die staatliche Daseinsvorsorge unter Einbezug keynesianistischer Methoden wiederherrichten. Dies kam in den Reihen politisierter JungwählerInnen, im Prekariat oder bei der wachsenden Zahl Unversicherter gut an und traf die Interessen der Arbeiterklasse – ein gewaltiger Schritt im imperialistischen Hauptland. Seine Gegnerschaft blieb lange uneins, bestand jedoch aus antikommunistischen Kubanoamerikanern, rechten Kleinbürgern sowie dem „Establishment“. Verwunderlich ist die programmatische Konstellation nicht: schon zu Studienzeiten wandte sich Sanders, als Mitglied der sich als sozialistisch verstehenden „Liberty Group“ gegen die Herrschenden und forderte eine Verstaatlichung der Leitindustrien sowie einen Spitzensteuersatz von 100 Prozent – genau diese Forderungen wurden aktuell als Schreckgespenst an die Wand gemalt und von seiner rechten Gegnerschaft zur Schicksalswahl gegen den „Kommunismus“ stilisiert, der Sozialdemokrat wurde zum „gefährlichen“ Kommunisten gestempelt.
Was bleibt?
Das bleibende Verdienst ist eine links-gerichtetere Partei der Demokraten; seine Forderungen fanden Anklang in der verarmten Arbeiterklasse. Des Weiteren befindet sich die amerikanische „Linke“ nach Jahren des Niederganges und der Machtlosigkeit auf aufsteigendem Ast, mit der intellektuellen Jacobin-Zeitschrift (Auflage: 50.000) verfügt man über ein mediales Sprachrohr und fand in Sanders sowie in der mutigen, mexikanisch-stämmigen Alexandria Ocasio-Cortez neue Identifikationsfiguren. Der Vorwahlkampf politisierte eine junge Generation, schuf politisches Bewusstsein – der Grundstein für weitere Kämpfe scheint gelegt. Überdauern wird die außergewöhnliche Wahlkampffinanzierung, insgesamt sammelte Sanders rund 100 Millionen Dollar von 2 Millionen KleinspenderInnen, finanzierte 1200 KampagnenmitarbeiterInnen – er erbrachte den Beweis, dass ein Wahlkampf ohne die finanzielle Gunst des Monopolkapitals möglich ist. Trotzdem scheiterte Sanders, ähnlich wie Corbyn, letztlich an seiner eigenen Partei, die prognostizierte Unterstützung blieb aus, die Parteirechten sowie deren Unterstützung aus der herrschenden Klasse versammelten sich – zur Verhinderung von Sanders – hinter dem bis dato blass gebliebenen Biden.
Feine Trennlinie – die Frage nach dem Eigentum
Seine Präsidentschaft hätte die politische Landschaft verändert, wenn auch gleichsam einige Problemlinien benannt werden müssen. Programmatisch ging Sanders nicht über die Linie der linken Sozialdemokratie hinaus, sprach mantra-artig vom „demokratischen Sozialismus“, ohne dabei konkret die Eigentumsfrage zu stellen, von der „politischen Revolution“, ohne die ökonomische zu denken. Ohne ein explizites Verständnis vom Imperialismus wäre es mit Sicherheit schwergefallen die Außenpolitik der USA neu zu konzipieren – seine ablehnende Haltung gegenüber der „undemokratischen“ Sowjetunion sei dabei geschenkt, unverzeihlich hingegen seine Anpassung an das Märchen vom „bösen Diktator Maduro“ in Venezuela sowie an die Rhetorik der Trump-Administration gegen Kuba, Iran oder Nordkorea. Er hätte das Land in die linke Ecke ziehen können, hätte aber auch mit den macht- und geldpolitischen Eliten in Washington einen Konsens finden müssen. Nach seinem Rückzug wirbt Sanders wie Barack Obama aktiv für Biden, offenbart somit den Trennstrich zur antikapitalistischen Bewegung. Als Fazit kann man sich der Einschätzung der KP der USA anschließen, welche analysierte: „Bernie wollte das kapitalistische System reformieren, dies ist nicht genug, wir denken, dass der Kapitalismus nicht reformiert werden kann, er muss durch eine Verwaltung der Arbeiterklasse ersetzt werden“. Für diesen Weg hätte „Bernie“, Wahlerfolg vorausgesetzt, massiven Druck von der Straße benötigt – denn seine Version des „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ wäre in der BRD in der Partei Die Linke oder gar in Teilen der SPD zu Hause.
Wahlen im Zeitalter des Niederganges
Der anstehende Wahlkampf wird zwischen Biden und Trump entschieden werden, Trump fürchtet Biden, da dieser mit ähnlichen Verbindungen in die herrschenden Kreise wie er selbst aufwarten kann und schätzt ihn als „gefährlichen Gegner“ ein. Während das neoliberal-entkernte Gesundheitswesen in der Pandemie versagte, Tausende Menschen den Tod fanden und über eine Million Infizierte zu beklagen sind, inszeniert sich Trump über seinen „Haussender“ Fox als „Macher“. Die Wahlen werden unter den Vorzeichen eines im Abstieg befindlichen US-Imperialismus stattfinden, entscheidet könnte die Frage sein, ob es Trump gelingt, China in die Knie zu zwingen, den eigenen „Rollback“ zu verlangsamen sowie gleichzeitig die heimische Wirtschaft am Laufen zu halten. Eine Alternative für die arbeitende Bevölkerung stellen weder Trump noch Biden dar – die „Revolution“ unter Sanders ist derweil abgesagt. Mut macht hingegen, dass nach Angaben des Institutes Gallup die Zustimmung zum „Sozialismus“ unter der schwarzen Bevölkerung einen Stand von 80 Prozent erreicht hat – Zeit also für eine richtige Revolution.
Luca, Frankfurt