Wie der kapitalistische Wahnsinn dort mit Corona einen neuen Höhepunkt erreicht
Der Kapitalismus macht Gesundheit zur Ware. Mit rund 370 Mrd. Euro, also über 10% des BIP, ist der Gesundheitsbereich aus Sicht des Kapitals ein Markt, der nicht links liegen gelassen werden kann, wenn es darum geht profitable Anlagemöglichkeiten zu finden. Neben Pharmakonzernen und Medizintechnik trifft das vor allem auf die Krankenhäuser zu. Seit Anfang der 1990er Jahre kann man hier eine zunehmende Ökonomisierung beobachten. Eine der wichtigsten Bestandteile davon war die Einführung der sog. Fallpauschalen (DRGs). Fallpauschalen legen, kurz gesagt, für Leistungen eines Krankenhauses (z.B. eine bestimmte Operation) eine feste Vergütung fest. Die Kliniken können bei den Krankenkassen nur das abrechnen, was durch Fallpauschalen abgedeckt ist. Wie viel Arbeit in einer Klinik real geleistet wurde oder welche Kapazitäten bereitgehalten werden, ist dafür uninteressant. Die Hauptprobleme dabei: Durch die Fallpauschalen stehen Klinken unter ständigem Druck ihre Kosten zu senken. Wenn z.B. ein(e) PatientIn länger als im DRG-System vorgesehen stationär aufgenommen werden muss, bedeutet das einen Verlust für das Krankenhaus. Bleibt er kürzer, bedeutet es Gewinn. Die Fallpauschalen schaffen somit die Grundlage für Konkurrenz und Profitlogik im Krankenhaus.
Wie immer geht es ums Geld
Auf dieser Grundlage können private Klinikkonzerne wie Fresenius Helios und Asklepios profitabel investieren. Ihr Anteil an den Krankenhäusern stieg in den letzten Jahren immer weiter an. Mittlerweile liegt er bei 36%. Sie nutzen dabei die Möglichkeiten des Systems voll aus. Häufig sind sie auf leicht planbare und profitable Eingriffe, wie Knie- oder Hüftgelenksoperationen, spezialisiert. Die aus gesundheitlicher Sicht nötige Versorgung der Bevölkerung in wenig profitablen Bereichen und damit häufig auch ein Verlust, bleibt oft an den öffentlichen Krankenhäusern hängen. Noch deutlicher wird das beim Freihalten von Kapazitäten. Das DRG System ermöglicht nur die Abrechnung von tatsächlich durchgeführten Eingriffen. Ist eine Station nicht ausgelastet, kann nicht genügend abgerechnet werden und sie macht Verluste. Werden diese Verluste nicht durch andere Bereiche ausgeglichen, bleibt nur die Schließung. Die Ökonomisierung durch die Fallpauschalen wirkt damit in allen Krankenhäusern, egal ob privat oder nicht.
Die Regierungsparteien der letzten Jahre haben diese Entwicklung vorangetrieben. Häufig forderten sie sogar, wie z.B. Gesundheitsminister Jens Spahn die Reduzierung der Kliniken. Jetzt, in der Coronakrise, lobt er die Kapazitäten des deutschen Gesundheitswesens und sieht es Anfang März gut vorbereitet. Bei dem plötzlichen Anstieg des Bedarfs durch die Coronakrise wird das kalkulierte Knapphalten von Behandlungskapazitäten und Schutzausrüstung aber zum akuten Problem. Das weiß auch Jens Spahn und setzt, der bisherigen Marktorientierung des Gesundheitssystems folgend, weiter auf ökonomische Anreize. Im viel kritisiertem Krankenhausentlastungsgesetz wurden Zuschüsse pro geschaffenem Intensivbett und für erhöhte Kosten für Hygienemaßnahmen beschlossen. Doch die Zuschüsse liegen weit unter den tatsächlichen Kosten. Die Schaffung von Intensivbetten oder ausreichende Hygienemaßnahmen führen also zu Verlusten, die unter dem gegenwärtigen System in letzter Konsequenz an anderer Stelle wieder reingeholt werden müssen. Eine wirkliche Lösung ist das also nicht.
Nicht nur Pflegekräfte leiden darunter
Der massive Kostendruck wurde und wird, besonders in den privaten Kliniken, vor allem auf die Beschäftigten abgewälzt. Immerhin sind bis zu 70% der Kosten eines Krankenhauses Personalkosten. Dabei geht es keinesfalls nur um Pflegekräfte und anderes medizinisches Personal, sondern genauso um Reinigungskräfte und alle, die für die Aufrechterhaltung des Krankenhausbetriebs bspw. im Krankentransport oder der Verpflegung beschäftigt sind. Die Mittel, mit denen Kosten eingespart werden sollen, sind für alle Berufsgruppen die gleichen: schlechte Bezahlung und Arbeitsverdichtung, also die Tendenz in der gleichen Zeit immer mehr Arbeit leisten zu müssen. Pflegekräfte sind für zu viele Betten verantwortlich, sodass ihnen die Zeit für die Pflege des / der einzelnen PatientInn fehlt. Reinigungskräfte müssen zu viele Zimmer reinigen, sodass eine gründliche Reinigung nicht mehr möglich ist. Beides spart Geld, geht aber zu Lasten einer guten Gesundheitsversorgung und wird auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen.
Die Folge ist, dass Pflegeberufe für viele wenig attraktiv sind und ausgebildete Pflegefachkräfte häufig ihren Beruf nach wenigen Jahren aufgeben. Eine Folge ist aber auch die Bewegung für eine Mindestpersonalbemessung der letzten Jahre. Mit verbindlichen Regeln soll beispielsweise festgeschrieben werden wie viele Betten von einer Pflegekraft betreut werden dürfen und so der weiteren Arbeitsverdichtung ein Riegel vorgeschoben werden. Ein neu geschaffenes Intensivbett allein reicht nicht aus, es braucht auch ausgebildetes Personal. Aber anstatt in der Coronakrise den selbstverschuldeten Personalmangel zu beheben und zumindest kurzfristig die Bezahlung der Beschäftigten zu verbessern wird auch hier die bisherige Logik fortgesetzt und sogar verschärft. Die erst kürzlich eingeführten und ohnehin zu geringen Personaluntergrenzen wurden Anfang März ausgesetzt. Arbeitsschutzrechte werden aufgehoben, sodass nun bis zu 12 Stunden Schichten möglich sind. Dabei ist klar, dass ein steigender Arbeitsdruck und Überlastung der Beschäftigten eher zu Fehlern im Umgang mit Schutzausrüstung und Hygienemaßnahmen führt. Das Ansteckungsrisiko für PatientInnen und Beschäftigte erhöht sich damit sogar noch.
Kurzarbeit trotz Corona?
Das kaputt gesparte und ökonomisierte Gesundheitssystem ist auf die Coronakrise also schlecht vorbereitet. Trotz der Versuche die Kapazitäten kurzfristig auszuweiten und die Beschäftigten einmal mehr ans Limit zu treiben, drohte die Überlastung des Gesundheitssystems. Deshalb wurden in allen Krankenhäusern nicht dringend notwendige Eingriffe verschoben um Personal und Platz frei zu machen für den erwarteten Anstieg der Coronafälle. Anfang April waren deshalb viele Krankenhäuser weit weniger ausgelastet als sonst üblich. An sich wäre das kein Problem, denn Ziel war es ja Kapazitäten für den Notfall frei zu halten, sie also gerade nicht auszureizen. Doch auch zu Coronazeiten gilt: ungenutzte Kapazitäten verursachen Kosten und können im DRG System nicht abgerechnet werden. Um drohende Verluste so gering zu möglich zu halten, wird dort gespart, wo man es immer tut: beim Personal. Mit Zwangsurlaub und verordneten Minusstunden für Pflegekräfte wurden in vielen Krankenhäusern die Personalkosten gedrückt. In einigen privaten Kliniken ging man sogar soweit mitten in der Coronakrise Kurzarbeit zu beantragen, weil den auf planbare Gelenkoperationen spezialisierten Kliniken die Einnahmen wegbrachen. Mitte April forderte dann die deutsche Krankenhausgesellschaft die baldige Wiederaufnahme der verschiebbaren Eingriffe, Kapazitäten würden sonst unnötig leer stehen. Ob das bei einer gleichzeitigen Lockerung der Maßnahmen und dem dadurch erwarteten erneuten Anstieg der Fallzahlen der richtige Schritt ist, bleibt fraglich. Die Einnahmen der Kliniken sind so zumindest gesichert.
Der Aufbau des Gesundheitssystems und die Maßnahmen in der Coronakrise sind also mehr ökonomisch als gesundheitlich motiviert. Die Logik des Gesundheitssystems ist die Profitlogik. Das rechnet sich v.a. für die privaten Klinikkonzerne. Allein Fresenius Helios machte 2018 einen Gewinn von 686 Millionen Euro.
Johannes, München