Der Westen ignoriert neue Erkenntnisse zum Vorwurf des Wahlbetrugs
Am 10. November 2019 trat der erste indigene Präsident Boliviens von all seinen politischen Ämtern zurück. Damit beugte er sich den Drohungen des Oberkommandeurs der Streitkräfte, William Kaiman, der Morales zum Rücktritt aufgefordert hatte. Begleitet wurde der Putsch von einer Welle der Gewalt gegen die indigene Bevölkerung und linke PolitkerInnen, ja selbst kubanische ÄrztInnen und PflegerInnen, die in Bolivien halfen, das Gesundheitssystem zu stabilisieren, mussten das Land verlassen. Seit der Wahl am 20. Oktober 2019 strebte die bolivianische Opposition den Sturz der gewählten Regierung an. Unterstützt von den USA wurde die bolivianische Regierung von der rechten Opposition der Wahlfälschung bezichtigt. Eine „Überprüfung“ der Wahl durch die von den USA dominierte Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) kam zu dem Ergebnis, dass die Regierungspartei „Bewegung zum Sozialismus“ die Wahl zwar „wahrscheinlich“ gewonnen habe, in Frage gestellt wurde jedoch, ob der Vorsprung von Morales auf den Zweitplatzierten Carlos Mesa tatsächlich über 10% betrug, was für einen Sieg im ersten Wahlgang notwendig ist. Am 11. November ernannte sich die erzreaktionäre Politikerin Jeanine Añez zur Übergangspräsidentin. Ihre Aufgabe sei es, die Situation in Bolivien zu befrieden und innerhalb von 90 Tagen Neuwahlen durchzuführen. Das ist bis heute nicht geschehen, mehrere Wahltermine wurden verschoben, aktuell ist der 6. September angedacht.
Doch kein Wahlbetrug?
Anfang Juni 2020 veröffentlichten ForscherInnen mehrerer US-Univeristäten Analysen und Berichte, in denen der Betrugsvorwurf der OAS gegen die Wahl in Bolivien als nicht haltbar und fehlerhaft beschrieben wird. Nach den ForscherInnen ist davon auszugehen, dass die OAS falsche Daten und fragwürdige statistische Methoden verwendete, um auf die Schlussfolgerung des Wahlbetrugs zu kommen. Die Tagesschau schreibt dazu, dass damit zwar möglicherweise der Beweis für einen Wahlbetrug widerlegt wurde, es jedoch noch lange nicht bedeute, die Wahl in Bolivien sei deswegen korrekt abgelaufen. Liebe Tagesschau, reicht es jetzt zu behaupten, dass eine Tat eventuell begangen wurde, ohne irgendwelche Beweise, um den Sturz einer Regierung zu rechtfertigen? Derweil gibt es von der EU, die den Putsch – mit ausdrücklichem Verweis auf die „Ergebnisse“ der OAS – unverzüglich begrüßt und die Putschregierung anerkannt hat, kein Wort zu den neuen Erkenntnissen. Die Schwächung der Linken in Lateinamerika scheint wichtiger als tatsächliche Wahlausgänge.
Linke in Bolivien von Repression betroffen
Gegen Morales, der sich aktuell im Exil in Argentinien befindet und von dort den Wahlkampf der früheren Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo) begleitet, läuft eine Anklage wegen Terrorismus und der Finanzierung terroristischer Aktivitäten. Weitere Politiker der letzten Regierung, Gewerkschaftsmitglieder und Mitglieder sozialer und indigener Organisationen werden zunehmend juristisch verfolgt. So wurde auch Strafanzeige gegen den Präsidentschaftskandidaten der MAS, Luis Arce Catacora, gestellt. Derweil ist unsicher, ob die Wahlen im September überhaupt stattfinden werden. Aktuell schlagen Behörden in Bolivien Alarm, da das Bestattungssystem durch die Anzahl der Corona-Toten massiv überlastet ist. Angehörige müssen bis zu sieben Tage mit den Verstorbenen im Haus verbringen, in einigen Straßen in den Städten liegen bereits Leichen.
Josephine, Bochum