Seit Jahrzehnten wird in Deutschland die Legalisierung von Cannabis diskutiert. Wer verfolgt damit eigentlich welche Interessen?
Der Schwarzmarkt für Cannabis floriert in Deutschland. Laut dem Deutschen Hanfverband kiffen hierzulande vier Millionen Menschen – so viele wie noch nie. Gerade unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Konsum von Cannabisprodukten weit verbreitet, der Verkauf ist ein Milliardengeschäft. Und spätestens seit Ende der 1960er Jahre wird eine breite gesellschaftliche Debatte über die Vor- und Nachteile einer Legalisierung bzw. Entkriminalisierung geführt.
Warum ist Cannabis in Deutschland überhaupt verboten?
Die gesetzliche Regulierung von Cannabisprodukten hat in Deutschland keine besonders durchdachte Tradition. Nach einer Verfügung des deutschen Kaisers, Wilhelm I. im Jahr 1872 wurde der Verkauf von Gras auf Apotheken beschränkt. Vorher gab es keinerlei gesetzliche Regelungen und trotz der Verordnung wurde Cannabis damals von ÄrztInnen vielfach als Schmerzmedikament eingesetzt. Bestrebungen Cannabis zu verbieten gab es erst seit dem frühen 20. Jahrhundert. Damals gründete sich die “Internationale Opiumkonferenz”, deren Name schon offenbart, dass Cannabisprodukte nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Ziel dieser war zunächst die Eindämmung der um-sich-greifenden Opiatsucht. Auch das deutsche Kaiserreich war an den Debatten beteiligt, doch federführend waren andere. Diese Rolle kommt in Bezug auf Cannabis den USA zu: Im Zuge der “Reefer Madness”-Diskussionen wurden mexikanische ImmigrantInnen, unter denen Cannabiskonsum relativ weit verbreitet war, als Hauptschuldige für den “Verfall von Sitte und Moral” unter amerikanischen Jugendlichen ausgemacht. Ein wichtiges Argument für das Verbot von Cannabisprodukten geht also zurück auf rassistische Diskriminierung.
Jedoch ging auch eine breite Propagandakampagne über angebliche Risiken vom amerikanischen Kapitalisten William Randolph Hearst aus. Dieser fürchtete weniger die berauschende Wirkung von Cannabis als vielmehr die Bedrohung seiner holzbasierten Papierproduktion durch billigeres, umweltverträglicheres und stabileres Hanfpapier. Da er die größte Zeitungskette der Vereinigten Staaten besaß, war es ihm ein Leichtes, die Bevölkerung von der angeblichen Gefahr des Kiffens zu überzeugen. Aber auch die Pharma-Industrie, die Tabakkonzerne und vor allem die Baumwolllobby haben massiv auf ein Verbot des “Konkurrenzrohstoffes” Hanf gedrängt.
Nach dem die Internationale Opiumkonferenz 1925 u.a. das Verbot von Cannabis durch ihre Mitgliedsstaaten beschloss, setzte der Reichstag dies 1929 mit dem Vorläufer des heutigen, 1972 beschlossenen Betäubungsmittelgesetzes um. Damit war Cannabis erstmals illegal. Im Zuge der jetzigen Debatte gibt es aber zumindest einen Fortschritt zu bemerken: Seit 2017 sind Cannabisprodukte in Deutschland als Arzneimittel zugelassen, auch wenn Krankenkassen die Kosten oft nicht übernehmen und die Apotheken oftmals von Schwierigkeiten bei der Beschaffung geplagt sind.
Wer profitiert von der Kriminalisierung? Wer würde von der Legalisierung profitieren?
Die heutigen Profiteure der Kriminalisierung unterscheiden sich erstaunlich wenig von jenen, die damals auf ein Verbot hinarbeiteten. Neben den Alkoholmonopolen als Produzenten des ökonomisch wichtigsten Rauschmittels in Deutschland, sind dies z.B. Unternehmen aus der Textil-, Papier- und Plastikproduktion, wo Nutzhanf als Grundstoff vielfach sogar effektiver und vor allem umweltverträglicher wäre. Cannabisprodukte werden in den letzten Jahren aber auch vermehrt als Ersatz zu herkömmlichen Arzneimitteln eingesetzt. Gerade in der Behandlung von SchmerzpatientInnen können dabei immer wieder Erfolge erzielt werden, die sich selbst mit starken herkömmlichen Schmerzmitteln wie Opiaten nicht einstellen. Damit haben auch Pharmakonzerne, die ebensolche Schmerzmittel produzieren, die sich oft weit teurer verkaufen lassen als Cannabis, ein Interesse an einer fortschreitenden Kriminalisierung.
Die KonsumentInnen in Deutschland beziehen ihr Gras hauptsächlich von Straßendealern, die wiederum bei Großdealern einkaufen. Das Gras kommt vor allem aus Marokko und Afghanistan über die Niederlande nach Deutschland. Durch die Kriminalisierung des Verkaufs von Cannabis bilden sich oft mafiöse Strukturen, die zur Steigerung des Gewinns das Gras manchmal mit gefährlichen Zusatzstoffen versehen, um das Verkaufsgewicht zu erhöhen. Von einer Legalisierung würden also zunächst die KonsumentInnen profitieren, die sich durch eine dann mögliche Kontrolle der Substanzen keine Sorgen um schwerwiegende Gesundheitsschäden machen müssten. Mafiösen Strukturen würde die Existenzgrundlage entzogen. Des Weiteren könnte der medizinische Nutzen besser erforscht werden, was aktuell nur mit selten erteilten Sondergenehmigungen möglich ist. Kaum erforscht ist zum Beispiel die mögliche positive Wirkung von Cannabis bzw. von einzelnen Inhaltsstoffen gegen psychische Erkrankungen.
Auch der deutsche Staat und die SteuerzahlerInnen würden massiv entlastet werden. Die Strafverfolgung von Cannabisdelikten verschlingt Milliarden, die man viel sinnvoller für Suchtprävention und -betreuung ausgeben könnte, wie es zum Beispiel in Portugal seit der vollständigen Dekriminalisierung der Fall ist. Zusätzlich erwarten Studien Steuereinnahmen aus dem legalen Cannabisverkauf in Milliardenhöhe.
Wird das Kiffen nun legal oder nicht?
Aufgrund der ökonomischen Macht der Kapitalfraktionen, die sich zum Schutz ihrer Profitinteressen gegen eine Legalisierung aussprechen, und der althergebrachten ideologischen Überzeugung vieler reaktionärer Teile der bürgerlichen Politik von der Notwendigkeit eines Verbots aller Rauschmittel, die keine “Kulturgüter” wie Alkohol seien, tut sich die deutsche Politik schwer damit, den positiven Beispielen im Umgang mit Cannabis, wie sie durch die Dekriminalisierung in Ländern wie Portugal, den Niederlanden, Kanada und mittlerweile auch weiten Teilen der USA erbracht wurden, zu folgen. Letztendlich hängt es also von der Macht der rivalisierenden Kapitalfraktionen und vom sozialen Druck auf die Politik durch PatientInnen und KonsumentInnen ab, ob Cannabis in Deutschland legal wird. Eine endgültige Entscheidung ist noch nicht absehbar.
Flo, Düsseldorf
Dazu noch folgende Infos:
Aber ist das Kiffen denn nicht gefährlich?
In der öffentlichen Debatte hört man oft, dass Cannabiskonsum zur Abhängigkeit führen kann und vor allem als sogenannte Einstiegsdroge den Weg zu anderen, härteren Drogen öffnet. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass sich regelmäßiger Cannabiskonsum sehr wohl zu einer psychischen Abhängigkeit entwickeln kann. Das Suchtpotenzial ist bei Cannabis aber viel geringer als bei Alkohol und Nikotin und ein physisches Abhängigkeitspotenzial konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Außerdem ist längst klar, dass Suchtkrankheiten hauptsächlich bei Menschen entstehen, die sozial benachteiligt und ausgegrenzt sind, die unter enormen Stress durch die Arbeit oder Geldsorgen stehen oder psychische Vorerkrankungen haben. Eine effektive Suchtprävention bedeutet also nicht das Verbot von potenziell suchtgefährdenden Substanzen, sondern die Beseitigung sozialer Faktoren, die Menschen zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln treiben. Als Einstiegsdroge fungiert Cannabis zudem nur durch die bestehende Kriminalisierung. Straßendealer verkaufen meist nicht nur Gras, sondern eben auch härtere Substanzen. Würde Raum für kontrollierten Verkauf von Cannabisprodukten geschaffen, würden die KonsumentInnen seltener in Kontakt mit anderen Substanzen kommen – schließlich kann man in einem Coffeeshop kein Heroin kaufen.
Dieser Artikel erschien in der aktuellen Position, dem Magazin der SDAJ.