Lieben im Kapitalismus
Auf dieser Welt leben rund 7,8 Milliarden Menschen- und einer davon ist dein Seelenpartner. Zumindest behauptet das eine ganze Reihe von A- bis C-Promis, Klatschzeitungen und InfluencerInnen und das nicht erst seit der hundertsten „Spiritualismus-Welle“. Und warum auch nicht? Die Vorstellung, dass es da irgendwo einen Menschen gibt, der perfekt zu uns passt, ohne dass wir groß was tun müssen, ist beruhigend und angenehm. Man flüchtet sich in ein romantisches Vollendungsszenario, in dem am Ende des metaphorischen Films „Leben“ ein großes „Happy End“ steht. Aber warum ist das problematisch?
Ganz einfach: Immer, wenn Menschen heute dazu gebracht werden sollen zu glauben, irgendein höheres Bewusstsein bestimmt über ihr Leben werden sie in eine passive Rolle gebracht. Was juckt mich der Stress auf der Arbeit, hohe Mieten und so fort, wenn ich irgendwann meinen Seelenpartner treffe und nur darauf warten muss, dass sich alles einrenkt? Diese romantischen Illusionen dienen der Realitätsflucht, die zuweilen angenehm ist und deshalb so viele AnhängerInnen findet.
Liebe im luftleeren Raum?
Das bürgerliche, sentimental gefärbte Ideal der Kleinfamilie verdeckt, dass auch die Partnerwahl oft genug und vorrangig von ökonomischen Abhängigkeiten bestimmt wurde. Für die doppelt unterdrückte Frau im Kapitalismus gab es zumeist keine reale Wahl des Ehepartners, sie wurde vielmehr durch niedrigere Löhne (so sie arbeiten konnte) und die unbezahlte Reproduktionsarbeit in die Abhängigkeit ihres Ehemannes gezwungen. Und auch heute, obwohl sich die Situation unbestreitbar durch die erkämpften Errungenschaften der proletarischen Frauenbewegung ein wenig verbessert hat, ist die Lebenspartnerschaft oft, nicht immer, eine Folge dieser ökonomischen Abhängigkeit. Geschichtlich war also auch das, was wir Liebe nennen, nie im luftleeren Raum. Natürlich gibt es aber noch eine Menge anderer Faktoren, die eben das Gefühl „Liebe“ prägen und die wir hier nicht alle auflisten können.
Beziehungen in Bewegung
Als MaterialistInnen wissen wir: Eine Seele haben wir nicht. Es rettet uns weder irgendein höheres Wesen, noch eine Art Schicksal, das über uns herumwabbert und alles regelt. Was für Menschen wir sind, welche Vorlieben und Abneigungen wir entwickeln, wie wir in bestimmten Situationen handeln entscheidet sich eben vorrangig dadurch, in welchem Umfeld wir aufwachsen, mit wem wir Zeit verbringen, eben durch unsere soziale und ökonomische Situation. Wir kommen nicht auf die Welt und haben irgendwo unser Gegenstück, dem wir dann schicksalhaft begegnen. Das Leben ist keine romantische Komödie, die während der „Prime-Time“ auf Sat1 läuft. Man muss sich auf sein Gegenüber einlassen, an sich arbeiten und trotzdem begegnet man Widersprüchen. Wir treffen nunmal nicht die eine Person, die perfekt zu uns passt, mit der wir sofort auf einer „Wellenlänge“ sind. Widersprüche resultieren bei quantitativer(grob gesagt ist die Anzahl gemeint) Steigerung regelmäßig in qualitativen Sprüngen, doch sie lösen sich nicht auf. So ist es auch in einer Beziehung: Sie ist niemals statisch, sie ist immer in Bewegung, sie wird manchmal mit der Zeit besser, manchmal schlechter, oft genug löst sie sich wieder auf. So wie sich unsere ökonomischen und sozialen Umstände verändern, verändern wir uns auch als Menschen, manchmal voneinander weg. Aber macht nicht das auch den Reiz aus?
Max, Solingen
Dieser Artikel erschien in der aktuellen Position, dem Magazin der SDAJ.