Stoppt den Krieg um Berg-Karabach! Frieden im Kaukasus!

veröffentlicht am: 6 Okt, 2020

Generalmobilmachung, Gefechte und Kriegsgefahr

In der Region Berg-Karabach ist es Sonntagmorgen (27.09.2020) zu schweren Gefechten und Zusammenstößen gekommen, ausgelöst durch eine Großoffensive der aserbaidschanischen Armee. Die Kriegshandlungen gelten als die schwerste Verschärfung des langjährigen Konfliktes seit Jahrzehnten. Bisher wurden laut Militärangaben bereits hunderte Tote und Verletzte gemeldet. In Armenien und den Gebieten von Berg-Karabach, deren international nicht anerkannte Regierung den armenischen Namen „Arzach“ verwendet, gilt eine Generalmobilmachung, in Aserbaidschan verhängte die Regierung eine Ausgangssperre und tausende Freiwillige meldeten sich im nationalistischen Taumel zu den Waffen. Nach den Angaben der armenischen Seite begann die aserbaidschanische Armee in den frühen Morgenstunden des Sonntages auf breiter Front der gesamten Demarkationslinie einen Angriff auf das Gebiet der „Republik Arzach“ – die aserbaidschanische Seite behauptet, im Wortlaut des aserbaidschanischen Regenten Ilham Alijew, dass man einen zuvor erfolgten Angriff von Seiten der armenischen Armee beantwortet hätte. Die Macht des Angriffes, die organisierte Unterstützung durch die Türkei sowie der Zeitpunkt der Gefechte sprechen eine deutliche Sprache: Baku und Ankara wollen diesen Konflikt heiß werden lassen.

Krieg, Genozid, Massaker – der historische Hintergrund des Konfliktes

Seit 1994 gilt ein brüchiger, unter russischer Diplomatie zustande gekommener Waffenstillstand. Die neuerliche Eskalation stellt jedoch eine neue Qualität dar und konnte auch nach Tagen nicht durch diplomatische Gespräche oder Kanäle zu einem Ende gebracht werden – es gilt einen großen Flächenbrand in der Region der fragilen ehemaligen Sowjetrepubliken zu verhindern. Die Sprecher der Außenministerien des Iran und der Russischen Föderation sowie in seltener Einigkeit auch China sowie andere Anrainerstatten und der UN-Sicherheitsrat sprachen sich zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch aus – das imperialistische Bündnis EU hingegen betonte Schützenhilfe nach dem aserbaidschanischen Angriff, der EU-Außenbeauftragte Borrell rief dazu auf, dass sich „andere Nationen nicht in den Konflikt einmischen“ sollten. Pakistan, die Türkei sowie auch die Ukraine sprachen sich zu Gunsten einer „territorialen Integrität“ von Aserbaidschan aus. Georgien unterstützt Aserbaidschan durch die Schließung seiner Grenzen für armenische Freiwillige. Der armenische Botschafter in Israel wurde mittlerweile abgezogen aus Protest gegen israelische Waffenlieferungen an Aserbaidschan. Deutschland unterhält ebenfalls beste wirtschaftliche und militärische Beziehungen zur Erbdiktatur Aserbaidschan. Der Rüstungskonzern Rheinmetall schloss erst im Juni Deals mit dem aserbaidschanischen Minister für Rüstungswirtschaft ab – eingefädelt von Exminister Dirk Niebel (FDP) trotz offiziellem Waffenembargo. Deutschland exportiert Maschinen und Fahrzeuge und importiert fleißig Erdöl über ein Pipelinesystem das zwischen Armenien und Russland durch Georgien in die Türkei führt. Auch deshalb bleibt die Reaktion der Bundesregierung auf den Krieg verhalten. Maßnahmen gegen die Kriegsgegner wurden nicht angekündigt. Auch die türkische Regierung als direkter Kriegstreiber wird vor Sanktionsforderungen von Deutschland geschützt.
Entgegen der Behauptung deutscher Monopolmedien geht es im Konflikt um die Region Berg-Karabach nur zu einem geringen Prozentsatz um die Gebiete selbst oder gar um die religiöse Zugehörigkeit ihrer Bewohner. Gleichwohl gilt die Region Berg-Karabach als ein fruchtbarer Landstrich, in Mitten der karg-hügeligen Landschaft des Kaukasus, wird jedoch von nur 140.000 Menschen bewohnt und grenzt unmittelbar an die beiden Konfliktparteien – von wirtschaftlichem oder gar geostrategischem Interesse ist die Region hingegen nur begrenzt, sie beherbergt keine kostbaren Ressourcen. Nach dem 1. Weltkrieg verblieb Berg-Karabach auf türkischen Druck bei der neu gegründeten Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik, erhielt jedoch als Autonome Oblast Bergkarabach eine gewisse Selbständigkeit. 1988 forderte Jerewan dessen Rückgabe. Nach 70 Jahren friedlichen Zusammenlebens im Sozialismus brachen mit der Restauration des Kapitalismus die nationalen Konflikte wieder auf. Es kam zu einem Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien, diesen konnte Armenien zu seinen Gunsten entscheiden – es folgten die faktische Übernahme des Gebietes rund um Berg-Karabach sowie schlimmste, gegenseitige Massaker an der jeweiligen Zivilbevölkerung und Vertreibungen. Die Landgrenze Armeniens zum Nachbarstaat Türkei ist dauerhaft geschlossen, das diplomatische Klima aufgrund der türkischen Weigerung einer Anerkennung des Genozides frostig. Aserbaidschan orientierte sich seit den 1990er Jahren eng an der Türkei, Armenien, welches seit der „samtenen Revolution“ 2018 von Ministerpräsident Paschinjan regiert wird, ist wirtschaftlich, politisch und militärisch eng mit Moskau verbunden. Militärisch ist das mit 10-Millionen Einwohnern sowie mit Öl und Gas gesegnete Land des Alliew-Clans klar Armenien sowie seinen rund 3 Millionen Einwohnern überlegen.

Türkische Expansionspolitik – zwischen Innenpolitik und Imperialismus

In beiden Ländern, Armenien wie Aserbaidschan, grassieren Korruption und eine veritable, ökonomische Krise in Folge der zyklischen Krise des Kapitalismus. Nationale Einheit – geschürt durch tiefsitzende Ängste und Propaganda gegenüber einer Bedrohung von außen – dient daher der korrupten Elite des Alijew-Clans in Aserbaidschan sowie der bürgerlich-demokratischen Regierung Armeniens. Unter dem Deckmantel der mittlerweile offenen militärischen wie finanziellen Hilfe an das „aserbaidschanische Brudervolk“ versucht die imperialistische Regionalmacht Türkei wieder einen Fuß in den Kaukasus zu setzen. Sie versendet Dschihadisten aus Syrien in größerer Zahl gen Aserbaidschan und erklärte „mit allen Mitteln und ganzem Herzen“ (Erdogan) den aserbaidschanischen Aggressor unterstützten zu wollen. Die Türkei schloss sich folglich den vielfältigen Rufen nach Entspannung nicht an – im Gegenteil der türkische „Verteidigungsminister“ Hulusi Akar betonte, dass die Türkei Aserbaidschan mit „allen ihren Ressourcen“ zur Seite stehen werde. Getreu Motto „Zwei Staaten – ein Volk“ (Erdogan) wird der nationalistische Pathos bereitet, um imperialistische Aggression nach Außen im Inneren verkaufen zu können sowie um von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19 Pandemie sowie deren Abwälzungen auf die türkische Arbeiterklasse abzulenken. Dazu gewinnt Erdogan innenpolitisch die kemalistische Opposition zu seinen Zielen hinzu und überspielt den drohenden Verlust an Hegemonie seiner AKP. In Baku wie Ankara wird die anti-armenische wie anti-kurdische Karte in die Waagschale geworfen. Ankara geht damit nach den Kriegen in Syrien, Irak und Libyen auf eine weitere Eskalation zu und stärkt damit seinen Anspruch regionale Ordnungsmacht im Dienste des westlichen Imperialismus zu sein. Zum einen gilt es den direkten Zugriff auf das reichliche Öl wie die Gasvorkommen in den aserbaidschanischen Gebieten zu sichern (Aserbaidschan stieg in 2019 zum wichtigsten Gaslieferanten auf), zum anderen entfaltet die Türkei gewollten Druck auf die Konkurrenten Iran wie Russland. Aktuell reagieren Teheran wie insbesondere Moskau auffallend besonnen, jedoch droht bei der russischen Unterstützung auf der Seite von Armenien eine Konfrontation zwischen dem NATO-Mitglied Türkei und Russland. Das russische Kalkül lässt sich wie folgt zusammenfassen: sofern der Konflikt auf kleiner Flamme schwellt, nutzt er dem Kreml, da dieser die einzige Macht auf Seiten von Jerewan darstellt und insofern immer einen Fuß in der Tür besitzt – an einer größeren militärischen oder gar direkten Konfrontation kann und darf die russische Seite kein Interesse haben, im schlimmsten Falle kann eine Eskalation an den Grenzen des Russlands zu innenpolitischen Spannungen und Instabilität (wie zu Zeiten des Krieges zwischen Armenien und Aserbaidschan 1994 geschehen) führen. Ein Flächenbrand ist somit leider nicht ausgeschlossen: dieses Szenario gilt es mit aller Macht zu verhindern, gerade in einer Region in der sich derart unterschiedliche Interessen kreuzen, müssen die Waffen schweigen. Wir treten daher für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch ein und fordern die sofortige Einstellung jeglicher Kampfhandlungen und den Rückzug aus allen in den letzten Tagen besetzten Gebieten. Ferner müssen die Einmischungen und Zündeleien des türkischen Imperialismus gestoppt werden.
Frieden im Kaukasus! Stoppt den Krieg und die imperialistische Aggression.

Internationale AG der SDAJ, 06.10.2020 

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