Mit mehr als 6,4 Millionen Covid-19 Fällen liegt Indien inzwischen auf Platz 2 der Länder mit den meisten Infektionen. Die zur Eindämmung der Pandemie verhängten Regeln und Sperren brachten die Wirtschaft zum Stillstand. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in den vergangen Monaten bereits um 24% geschrumpft und die Wirtschaft ist einem massiven Nachfragerückgang ausgesetzt, die Arbeitslosigkeit steigt. Besonders Arbeitsmigranten und Leiharbeiter sind davon betroffen. Die bereits chaotische Situation wird von der herrschenden Klasse nun ausgenutzt, um die Rechte der Arbeiter weiter zu zerschlagen und von ihrem Unvermögen, der Krise entgegenzutreten, abzulenken.
Arbeitsgesetze sollen Ausbeutung intensivieren
Unter dem Vorwand, Investitionen zu stimulieren, wurden in vielen Bundesstaaten viele Arbeiterrechte beschnitten oder ausgesetzt. So wurden im fast 200 Millionen Einwohner zählenden Uttar Pradesh, das von dem hindu-nationalistischen Yogi Adityanath regiert wird, Grundrechte wie das Recht auf Streik und die zeitgerechte Entlohnung für drei Jahre auf Eis gelegt. Insgesamt geht es um 44 Arbeitsrechte in vier „Codes“. Betroffen sind davon Rechte zur Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Arbeitsbedingungen.Arbeiterrechtler kritisierten diese Reform als „absolut schockierend“, Uttar Pradeshs Regierung drehe die Uhren um mehr als 100 Jahre zurück. Betriebe mit bis zu 300 Arbeitern können nun Belegschaft entlassen ohne Angabe von Gründen.Diese Gesetze blieben natürlich nicht unbeantwortet, doch Gewerkschaften wie der CITU (Central Indian Trade Union) haben es im Corona-Indien momentan schwer.
Neues Landwirtschaftsgesetz
Neben dem Industriesektor gibt es auch in der Landwirtschaft Proteste. Tausende Farmer versammelten sich in den letzten Wochen in Indien, um gegen die neuen Agrargesetze von Narendra Modi – dem amtierenden Premierminister Indiens – zu protestieren. Die Reformen sollen die Regeln für den Verkauf, die Preisgestaltung und die Lagerung landwirtschaftlicher Erzeugnisse lockern – Regeln, die die indischen Landwirte seit Jahrzehnten vor dem freien Markt schützen. Bis jetzt duften Bauern ihre Produkte nur an semi-staatliche Großhandelsmärkte (Mandi’s) verkaufen, was ihnen einheitliche Preise garantierte und von diesen Lebensmittel für die ärmere Bevölkerung subventioniert wurden. Nur von den Großhandelsmärkten konnten Supermärkte und private Händler ihre Produkte erwerben. Mit der neuen Gesetzgebung dürfen Bauern ihre Produkte jetzt ebenfalls an private Händler direkt verkaufen. Es ist zu befürchten, dass diese dann den Markt monopolisieren und wichtige Waren für zukünftige Verkäufe horten. Dies konnten früher nur von der Regierung autorisierte Vertreter tun. Wenn nun aber große Konzerne wie z.B. Reliance Fresh der mächtigen Industriellenfamilie Ambani selbst große Mengen einkaufen und lagern dürfen, so verschlechtert es die Position der Kleinbauern und verringert deren ohnehin schon kaum ausreichenden Einkommen. Bauern und Oppositionsparteien protestierten gegen den Gesetzentwurf. Der Streit führte zur Suspendierung von acht Oppositionsmitgliedern im Parlament, die bis Montagabend ein Sit- In vor dem Parlament veranstalteten – ein Affront gegen das bürgerlich-demokratische Selbstverständnis der „größten Demokratie der Welt“. Am 25. September veranstalteten Landwirte im ganzen Land massive Proteste, die von mehreren landwirtschaftlichen Einrichtungen unterstützt wurden. In vielen Bundesländern fanden Proteste statt, darunter protestierten alleine in Maharashtra über 50.000 Bauern. Autobahnen und Eisenbahnen waren vielerorts blockiert. Doch ohne Erfolg, denn drei umstrittenen Gesetzesvorlagen stimmten trotz der massiven Unruhen der Bauern im Land das Parlament zu.
Die Antwort aus Kerala
Die Reaktion des Bundesstaates Kerala’s dagegen war die Veröffentlichung eines alternativen Systems. Das Ziel ist, die Privatisierung der Landwirtschaft mit Genossenschaften zu bekämpfen. Der Staat möchte die kollektive Landwirtschaft fördern, die von verschiedenen Genossenschaften und Gemeinschaftskollektiven bereits betrieben wird. Diese basieren auf sozialem Eigentum an Produktionsmitteln und kollektiver Arbeit. Kerala kann erfolgreiche Modelle von Genossenschaften aufzeigen. Ein Beispiel dafür ist die Brahmagiri Development Society (BDS), in der mehr als 13.500 Familien Mitglied sind.
Privatisierungen auch im Bildungswesen
Die neoliberale Agenda der Modi-Regierung macht auch vor dem Bildungswesen nicht halt. Schon im Frühjahr dieses Jahres wurde eine neue Bildungspolitik verabschiedet, die unter dem Deckmantel der „Modernisierung“ und wohlklingenden Versprechungen wie z.B. 4-6 % des BIP für die Bildung bis 2030 oder 50% Einschreibungen eines Jahrgangs für eine weiterführende Ausbildung oder Studium nach der Schule, verbergen sich die Absicht das staatliche Bildungssystem, vor allem im Hochschulsektor zu privatisieren. Wenn von „finanzieller Autonomie“ der Bildungsinstitutionen gesprochen wird, so ist gemeint, dass diese sich durch Drittmittel oder höhere Studiengebühren selbst finanzieren müssen. Das ist eine Katastrophe für angehende Studierende aus unterdrückten Kasten oder armen Familien – war es vorher schon schwierig einen Studienplatz gegen hunderte Mitbewerber zu ergattern so kommen nun mit dem Auslaufen der kostenlosen staatlichen Stipendien und wegfallenden Quoten für „benachteiligte“ Klassen weitere Hürden hinzu. Mayukh Biswas, der Generalsekretär der Student’s Federation of India (SFI), kritisierte die neue Richtlinie als undemokratisch, die sozialen Widersprüche vertiefend und die unabhängige Forschung unterminierend.Auch der renommierte marxistische Professor Prabhat Patnaik und die Jawarharlal Nehru University Student‘s Union (JNUSU) bezeichneten die Reform als einen reaktionären, großen Schritt zurück.
Was bleibt der ist Kampf
Trotz der zahlreichen neoliberalen und reaktionären Vorstöße der Modi-Regierung, reißen die Proteste nicht ab. In diesen Wochen finden in allen Teilen des Landes Kundgebungen und Demonstrationen gegen kasten-basierte Gewalt statt. Auch einige Bundesstaaten wie beispielsweise Kerala, zeigen, dass es besser gehen kann. Der Kampf ist noch lange nicht verloren!
Selma, Leipzig und Max, Freiburg