Gerade vor dem Hintergrund der diese Woche anstehenden Bundestagswahl ist es für die Politik wichtig, vermeintliche Entschlossenheit in der Pandemiebekämpfung zu zeigen. Doch das Ganze ist mehr Schein als alles andere. Vor allem drei Maßnahmen spielen in der Öffentlichkeit gerade eine Rolle:
- Ab dem 11. Oktober sollen die Corona-Tests kostenpflichtig werden, ab Ende November auch für Jugendliche zwischen zwölf und siebzehn Jahren. Eine staatlich festgesetzte Preisobergrenze wird es nicht geben, der Preis wird vom Markt geregelt werden. Mindestens für die 13,2 Millionen in Deutschland (2020 wurde damit die höchste Armutsquote seit der Wiedervereinigung erreicht), die als arm gelten, bedeutet das Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben, wenn man sich nicht impfen lassen kann oder will. Auch eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes ist wahrscheinlich. So heißt es zum Beispiel in der Coronaschutzverordnung des Landes NRW vom 17. August 2021, das ab einer 7-Tages-Inzidenz von über 35 in einem Kreis oder einer Stadt Versammlungen (also auch Demonstrationen und Kundgebungen) nur von immunisierten oder getesteten Personen besucht werden dürfen. Wie es mit kostenpflichtigen Tests im Präsenzunterricht und in der Präsenzlehre in Schulen und Unis laufen wird, ist noch unklar. Klar ist aber jetzt schon: Tests sind für eine effektive Pandemiebekämpfung trotz Impfungen weiterhin notwendig. Tests kostenpflichtig zu machen, hilft nicht gegen die Verbreitung von Corona, sondern im Gegenteil, schließt Geringverdiener und ihre Kinder vom öffentlichen Leben aus und gibt ihnen daran selber die Schuld, denn sie könnten sich ja impfen lassen. Dass auch Geimpfte Corona bekommen können und kostenlose PCR-Tests deshalb überfällig sind, ist seit langem bekannt.
- Während vor ein paar Wochen noch überall von 3G (also Zugang für Geimpfte, Getestete und Genesene) die Rede war, wird jetzt im Freizeitbereich immer öfter 2 G praktiziert (also Zugang nur für Geimpfte und Genesene). Auch das macht es nicht sicherer, aber schließt alle die aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben, die sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht impfen lassen wollen.
- Des Weiteren soll es keine Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in einer behördlich angeordneten Corona-Quarantäne mehr geben. Das heißt den Verlust des halben Monatsgehalts. Vor allem für Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen und im Niedriglohnbereich (wo sich überdurchschnittlich viele junge Menschen finden) und Studierende, die sich mit Nebenjobs finanzieren, bedeutet das eine existenzielle Bedrohung. Das ist ein heftiger Angriff auf unsere Rechte, der im Kleingedruckten des während der Pandemie erneuerten Infektionsschutzgesetzes seine Grundlage hat.
Diese Maßnahme wird die Verbreitung von Corona tendenziell erhöhen. Denn wenn man so krasse finanzielle Verluste zu erwarten hat, wird man sich zweimal überlegen, ob man sich testet, positive Testergebnisse meldet und seine Kontakte beim Gesundheitsamt vollständig angibt. Diese unsoziale Maßnahme folgt der Argumentation, dass man die Kosten eben selber zu tragen hat, wenn man das Risiko als Ungeimpfter eingeht. Dafür müsse dann ja nicht die Allgemeinheit zahlen. Das Versagen der Bundesregierung während der Pandemie soll damit auf den oder die Einzelne abgewälzt werden und gegen die Impfung entscheiden kann sich nur noch, wer es sich leisten kann. Mit der gleichen Argumentation könnte man Dicken, Rauchern oder Leistungssportlern im Fall von dadurch bedingten Krankheiten Sozialleistungen verwehren. Hier wird das Prinzip, dass jeder eben seines Glückes Schmied ist, auf die Spitze getrieben.
Bei all diesen Maßnahmen fällt auf, dass sie in der Pandemiebekämpfung nicht weiterbringen, aber dafür Impfunwilligen in der öffentlichen Debatte rund um diese Maßnahmen die Schuld an möglichen steigenden Infektionszahlen gegeben wird. Das, obwohl die Impfbereitschaft in der deutschen Bevölkerung bei ca. 90% liegt. Durch den Impfunwilligen als Sündenbock wird davon abgelenkt, was es wirklich zur Pandemiebekämpfung braucht. Dazu müsste Geld, das gerade zur Rettung von Großkonzernen oder zur Hochrüstung der Bundeswehr ausgegeben wird, stattdessen in die Hand genommen werden für:
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Impfaufklärung und niedrigschwellige Impfangebote statt Impfzwang durch die Hintertür
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Mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und Rekommualisierungen von Krankenhäusern unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigen und ihrer Gewerkschaften
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Luftfilter, größere Räume und mehr Personal für Präsenzlernen in kleineren Gruppen für Schulen und Unis
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Sinnvolle Infektionsschutzmaßnahmen im Kultur- und Freizeitbereich
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Kostenlose PCR-Tests und ernsthafte Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter