Anlässlich seines 30. Todestages sprach die POSITION mit Ellen Schernikau, der Kommunistin und Mutter des kommunistischen und vor Allem hervorragenden Schriftstellers Ronald M. Schernikau. Ronald M. Schernikau, Jahrgang 1960, war Kommunist und Schriftsteller. Seinen ersten Erfolg feierte er mit der Kleinstadtnovelle im Alter von 20 Jahren. Er war organisiert in der SDAJ, DKP und SEW, zog später zum Abschluss seines Studiums in die DDR und nahm die Staatsbürgerschaft an. Ronald M. Schernikau starb im Alter von 31 Jahren kurz nach Vollendung seines Monumentalwerks Legende.
POSITON: Liebe Ellen, kannst du für unsere LeserInnen kurz ausführen, was das Besondere an Ronald M. Schernikau war und was wir von ihm lernen können?
Ellen: Auf jeden Fall kann man von ihm lernen, wie man Selbstbewusstsein entwickelt und sich nie unterkriegen lässt. Das ist etwas, was ich an ihm immer bewundert habe, schon als er ein Kind war. Dazu würde ich gerne eine Anekdote erzählen: Als er 16 war, saß er im Kreis meiner SchwesternschülerInnen, und da fragte ihn eine: „Ronald, es spricht sich rum, dass du mit Jungs knutschst, kann das sein?“ Und er antwortete „Na und?“. Da sagte sie: „Stell dir mal vor ich würde jetzt die Christel küssen!“ und er versetzte ihr: „Na mach doch.“ Er hat sich nie klein machen lassen, das ist nur eine von vielen Geschichten dieser Art. Er wusste von klein auf, dass er anders ist als die anderen, auch in der Schule. Er hatte bei mir immer das Wort „DDR“ gehört und es auch benutzt und wurde von seinen MitschülerInnen schräg angeguckt, weil die das in der Schule immer „Ostzone“ genannt haben. Schon in dem Alter hat er das gemacht, was er für richtig gehalten hat und das durchgezogen. Sich behaupten, sich nicht klein machen lassen, das kann man von ihm lernen.
Welches seiner Bücher würdest du unseren LeserInnen besonders ans Herz legen wollen und warum?
Ellen: Das ist für mich natürlich schwierig, weil ich sie alle gut finde [*lacht]. Für den Einstieg würde ich aber Die Tage in L. empfehlen. Das war ja ursprünglich seine Abschlussarbeit am Institut für Literatur Johannes R. Becher in der DDR. Was Ronald von den Anderen dort unterschied ist, dass er sowohl die BRD, als auch die DDR kannte und auf diesen Staat ganz anders gucken konnte. Diese Sichtweise kann und sollte man kennenlernen, weil sie sehr lehrreich ist. Ronald wolle damals, dass das im Aufbau-Verlag (DDR) erscheint, was aber leider nicht klappte wegen Sätzen im Buch wie „Die DDR nervt.“ So erschien es dann in Hamburg beim Konkret-Verlag, verkaufte sich in den ersten Wochen rund 1500 mal und war später auch in der DDR sehr gefragt. Das zeugt davon, dass er gerne gelesen wurde und wird, dass das Interesse groß war und ist.
Mit der Neuauflage der Legende und anlässlich seines 30. Todestages scheint es ein gesteigertes Interesse an Schernikau zu geben, was sich nicht zuletzt in einem Radio-Feature über sein Werk und Leben im ORF/WDR äußert. Würdest du die Einschätzung teilen und wenn ja, was denkst du woher diese Entwicklung kommt?
Ellen: Ich teile das. Als Beispiel könnte man etwa die Veranstaltung im Brecht-Haus nennen, das Interesse ist offensichtlich gewachsen, vielleicht auch im Kontext „30 Jahre Wiedervereinigung“, d.h. Konterrevolution in Deutschland. Der zur Schau gestellte „Jubel“ über diesen Jahrestag bringt auch sein Pendant hervor: Viele trauen sich gerade, jemandem, der über diese Sache anders denkt eine Stimme zu geben. Ihr seid jung, schaut nach Alternativen zum Bestehenden und mit Schernikau stellt man fest: Der ein oder andere guckt ganz anders zurück auf diese DDR, gegen das vorherrschende Bild. Wenn ich als Zeitzeugin in Schulklassen bin, dann stelle ich fest, dass die SchülerInnen oft ein ganz anderes Bild von der DDR haben, als das, was ich ihnen so erzähle. Aber auch da gibt es einige, die das herrschende Geschichtsbild nicht teilen. Und ich glaube, dass das wieder mehr wird.