In den letzten Jahrzehnten hat sich auch in Deutschland der ursprünglich im englischsprachigen Raum etablierte Begriff Care- Arbeit durchgesetzt. Er beschreibt im Prinzip dasselbe, was MarxistInnen traditionell etwas sperrig Reproduktionsarbeit nennen: Arbeit, die der Wiederherstellung der Arbeitskraft dient. Damit ist sowohl die private Wiederherstellung, also z. B. die Sicherstellung der notwendigen Hausarbeit als auch die gesellschaftliche Wiederherstellung, also z. B. die Pflege von Kranken und Alten oder die Erziehung von Kindern gemeint. Diese Arbeit wird sowohl gesellschaftlich als auch privat überwiegend von Frauen geleistet. Die gesellschaftliche Reproduktionsarbeit ist dabei überdurchschnittlich prekär. Weil die private Reproduktionsarbeit unbezahlt geschieht und Frauen in der Regel zusätzlich lohnabhängig beschäftigt sind, sprechen wir von der doppelten Unterdrückung der Frau.
Kampf um die notwendige Arbeit
Wo Ausbeutung und Unterdrückung stattfinden, entstehen Kämpfe dagegen, das ist das Wesen der menschlichen Geschichte. Dass diese Kämpfe eine wirksame Richtung haben, ist allerdings nicht garantiert. In der Frage der Reproduktionsarbeit sind für diese Kämpfe mehrere Richtungen denkbar. Wesentlich gegeneinander abgrenzen kann man eine Schlagrichtung gegen den gesellschaftlichen Charakter der doppelten Unterdrückung und eine gegen die private, unmittelbar erlebbare Ungleichheit in der Partnerschaft oder Familie.
In den letzten Jahren konnten wir an verschiedenen Stellen erleben, wie viel Kraft in dem Kampf um den Stellenwert der gesellschaftlichen Reproduktion steckt: Genannt seien hier beispielhaft die Streiks im Sozial- und Erziehungswesen 2015 oder die Kämpfe um Entlastungstarifverträge an verschiedenen Universitätskliniken in ganz Deutschland, aktuell z. B. in Gießen/Marburg. Diesen
Kämpfen ist gemein, dass sie entgegen dem Trend der allgemeinen Kapitaloffensive offensiv um Verbesserungen geführt wurden und dabei in unterschiedlichem Maße Erfolge erzielt haben. Das Spektrum reicht dabei von gefühlten Niederlagen bis hin zu den größten Siegen, die die arbeitende Klasse in Deutschland seit 1990 überhaupt hat einfahren können.
Das war und ist aus zwei Gründen möglich: Zum einen haben die Kämpfe im zunehmend auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitswesen massive ökonomische Schäden verursacht. Verluste in Millionenhöhe haben die Träger wirksam unter Druck gesetzt. Zum anderen ist es gelungen, zumindest einem Teil der Gesellschaft zu vermitteln, dass Verbesserungen in reproduktiven Berufen auch eine direkte positive Auswirkung auf alle anderen Beschäftigten haben, bzw. dass der aktuelle Zustand anderen Beschäftigten aktiv schadet.
Das Private politisch machen
Ein weiteres Potential liegt darin, dass die erfolgreichen Kämpfe im Bereich der Reproduktionsarbeit einen zweifachen gesellschaftlichen Charakter haben: Auf der einen Seite zeigt sich in ihnen in seltener Deutlichkeit der Widerspruch zwischen der Profitlogik des Kapitalismus und den Bedürfnissen der Menschen. Kein Krankenhausbetreiber argumentiert gegen mehr Personal, weil eine ernsthafte Überzeugung besteht, es sei fachlich nicht notwendig. Jede Argumentation beruht auf ökonomischen Überlegungen. So deutlich wie selten müssen die Herrschenden hier zugeben: „Ja, eine bessere Welt wäre möglich, aber wir wollen sie nicht bezahlen.“ Auf der anderen Seite bedeutet ein erfolgreicher Kampf um die gesellschaftliche Reproduktion auch eine Entlastung der privaten Reproduktion: Gesicherte Kita-Plätze, offene Ganztagsschulen, die auch real geöffnet sind, ausreichende Behandlungsplätze in der Akut- und Langzeitpflege usw. All diese Dinge sparen Arbeitsaufwand, der momentan überwiegend auf privaten Haushalten lastet. Diesen doppelten Charakter gilt es in zukünftigen Kämpfen in
diesen Bereichen weiter zu stärken.
Die Schlagrichtung gegen das Private, die ihren Ausdruck z. B. in politischen Aufrufen zu Hausarbeits- oder Gebärstreiks findet, besitzt nicht dieselbe Wirkungsfähigkeit. Neben der Frage der Durchsetzbarkeit zielt diese Schlagrichtung aber auch weg von den Ursachen der doppelten Ausbeutung. Der eigene Partner, Mitbewohner, Vater, usw., was für ein fauler Macker er auch sein mag, ist nie Ursache, sondern immer Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Selbst ein im Einzelnen erfolgreicher Kampf um die Verteilung der privaten Reproduktion wird am Ende die Gesellschaft nicht entscheidend verändern. Im Gegenteil: Die Orientierung auf den Kampf gegen die Missstände im Privaten lenkt von möglichen wirksamen Kämpfen und dem Charakter der doppelten Ausbeutung sogar ab.
Das heißt nicht, dass die private Aufteilung der Reproduktionsarbeit egal ist. Ein Kommunist kann sich aus der privaten Verantwortung, im Haushalt gleichermaßen Hand anzulegen, nicht mit Verweis auf den gesellschaftlichen Kampf herausstehlen. Alllerdings: So wie die entscheidende Grenze im Kapitalismus nicht zwischen den Völkern verläuft, verläuft sie auch nicht zwischen den Geschlechtern, sondern eben zwischen oben und unten. Die Kämpfe, die an dieser Grenze rütteln, sollten wir mit aller Kraft vorantreiben.
Jonas, Essen