„Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und finanzielle Unabhängigkeit sind wichtige Bestandteile realer Gleichstellung“
„Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus!“, so schlussfolgerte die herausragende Kommunistin Alexandra Kollontai in Kurzform die Verknüpfung des Kampfes um die Befreiung der Frau mit dem Kampf um die Befreiung der Menschheit in Gänze durch den Sozialismus.
Und tatsächlich: Der reale, existierende Sozialismus bewirkte massive Fortschritte im Kampf um die Besserung der Lage der Frau, auch wenn dieser Prozess natürlich nicht widerspruchsfrei abläuft. In unserer Bildungszeitung „Frauen im Kapitalismus“ stellten wir fest:
„Im Sozialismus entfällt mit der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln das objektive, ökonomische Interesse des Kapitals an der Unterdrückung der Frau sowie ihrer doppelten Ausbeutung.“ Der Sozialismus schafft damit die Bedingung für die vollständige Befreiung und Gleichstellung der Frau. Die politische Führung in Sowjetunion und DDR erkannten dies und unternahmen wichtige Schritte in Richtung der Geschlechtergleichheit. Ökonomisch wurde sie dadurch beseitigt, dass Frauen den gleichen Lohn wie ihre Kollegen erhielten und Frauen, im Gegensatz zu den kapitalistischen Staaten dieser Zeit, ganz selbstverständlich berufstätig waren. Ermöglicht wurde das neben Zugang zu Schulen, Universitäten und Ausbildungsplätzen durch die flächendeckende, öffentliche Kinderbetreuung. So waren in den siebziger Jahren über 90 Prozent der arbeitsfähigen Frauen in der UdSSR berufstätig. In der DDR sah dies ähnlich aus; 1980 erhielten 90 Prozent der Kinder im Kindergartenalter einen Platz, sodass fast alle Eltern einem Beruf nachgehen konnten. Das bedeutete Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und finanzielle Unabhängigkeit – wichtige Bestandteile realer Gleichstellung. Auch im Bildungsbereich wurden Benachteiligungen bekämpft, sodass genauso viele Frauen wie Männer in der UdSSR einen Hochschulabschluss erreichten. Ebenfalls Voraussetzung für Gleichstellung ist auch die Aufweichung von klassischen „Männerberufen“, welche für Frauen der Sowjetunion geöffnet und gezielt gefördert wurden: 1974 wären 40 Prozent aller Ingenieure weiblich sowie 57 Prozent aller Konstrukteure. […]
Der Wegfall der wirtschaftlichen Grundlage für die Unterdrückung der Frau ist zwar eine notwendige Voraussetzung für ihre Befreiung, diese passiert dann aber trotzdem nicht automatisch. Der vorhergegangene Kapitalismus und die ideologische Prägung hinterlassen tiefe Spuren in den Köpfen der Menschen, sodass die Beseitigung dieser eine aktive Auseinandersetzung sowie Bildung erfordert.“
Der ideologische Kampf
Wenn wir davon reden, dass die ökonomische und soziale Schlechterstellung von Frauen im Kapitalismus vor allem aus der ökonomischen, der Basis-Ebene herrührt, dann dürfen wir doch nicht vergessen, dass die Überbau-Ebene, also die, auf der sich Gesetze, Ideologie, Herrschaftsapparat, Staat, Politik abspielen, eine relative Selbstständigkeit entwickelt. Im Sozialismus sind wir noch für Generationen geprägt von den Muttermalen des Kapitalismus, so wie alle vorangegangenen Gesellschaftsformationen ihren Nachfolgern Ideologiefragmente vererbten. Die katholische Kirche, die besonders im Feudalismus eine entscheidende Rolle als Legitimationsinstrument für die herrschende Ordnung spielte existiert ja immer noch, trotz ihrer teilweisen Ablösung durch den ideologisch besser passenden Protestantismus in der Neuzeit. So eben auch im Sozialismus: Vorstellungen von Familie, Ehe, zwischenmenschlichen Beziehungen lösen sich nicht zu einem Stichtag auf, sie aufzuheben ist ein langer, widerspruchsvoller Prozess, gerade so wie auch in der Juristerei. Notgedrungen muss man ja auf einer Grundlage agieren, so übernahm dann auch die DDR große Teile ihres Zivil- und Strafrechts aus der Weimarer Republik und reformierte es schubweise.
Bewusste Bildung gegen unbewusste Vorurteile
Das Schöne ist aber: Der Sozialismus markiert den Zeitpunkt, ab dem wirklich bewusst Geschichte gemacht werden kann. Während der Kapitalismus sich mehr oder weniger als logische Fortsetzung aus dem Feudalismus heraus über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren eine ökonomische Grundlage aufbauen konnte und in Kontinentaleuropa erst Ende des 18. Jahrhunderts seinen politischen Herrschaftsanspruch in der französischen Revolution geltend machte, kann der Sozialismus sich keine ökonomische Basis aufbauen, bevor er politisch herrscht. Sozialistische Unternehmen sind im Kapitalismus nicht möglich, da es in einem System, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht, keinen gesellschaftlichen Besitz an Produktionsmitteln geben kann. Erst vermittels der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse kann das Privateigentum aufgehoben werden. Deswegen attestieren wir für den Sozialismus ein Primat der Politik vor der Ökonomie – denn die wird ja politisch gemacht, sie wird geplant, sie wird in den Dienst der Allgemeinheit gestellt und nicht in den einer verschwindend kleinen Ausbeuterklasse. Die Stärkung der Rolle der Politik erhöht auch ihre Bedeutung für die Bewusstseinsbildung der Massen. Eine interessante und besonders anschauliche Rolle derartiger Bewusstseinsbildung lässt sich in Kuba sehen, wo das 1989 gegründete „Zentrum für Sexualerziehung“ nicht nur über Empfängnisverhütung und nicht- heterosexuelle Beziehungen aufklärt, sondern auch, zusammen mit dem kubanischen Frauenverband, den teils noch immer recht präsenten „Machismo“ zusammen mit sexistischen Vorurteilen aufs Korn nimmt. Durch staatliche Aufklärung, durch Sexualerziehungsbücher, die eindringlich vor den Gefahren von Homophobie und dem Festhalten an den alten Rollenbildern warnten, durch die wissenschaftliche Erforschung menschlicher Beziehungen gelang es auch der DDR, die Rolle der Frau ideologisch, politisch und sozial massiv zu stärken.
Nach der „Wende“ ist vor der Revolution.
Besonders deutlich wurde dies nach der Wiedervereinigung, als sich die ostdeutsche Bevölkerung im Allgemeinen, aber im Besonderen die Frauen mit Arbeitslosigkeit konfrontiert sahen. Und auch heute noch sind die Differenzen enorm: Selbst nach den sehr optimistischen Angaben von Statista (die keine Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeit, 1€ Jobs usw. macht) sind heute in der Altersgruppe 20-60 rund 78% der Frauen im weitesten Sinne berufstätig, 1989 in der DDR waren es deutlich über 90%. Mit der reihenweisen Schließung von KiTas, dem Wegfall der sehr umfangreichen Regelungen der DDR für die Elternzeit (etwa ein volles, bezahltes „Babyjahr“, das auch Männer in Anspruch nehmen konnten) und der Auswirkungen der Konterrevolution auf die Abtreibungsgesetzgebung (die sehr fortschrittliche DDR-Variante ist der deutlich repressiveren westdeutschen Version gewichen) wurde sehr schnell offensichtlich: Der Kapitalismus setzt auch seine Familien- und Rollenbilder in Windeseile wieder durch. Es schadet nicht ab und an darüber nachzudenken, was uns mit der Konterrevolution geraubt wurde, auch um daran zu erinnern, was möglich ist und sein wird.
Max, Solingen