Am Christopher-Street-Day feiert die queere Community – dass Homosexualität nicht mehr als Krankheit gilt, dass in der BRD niemand mehr nach Paragraf 175 verfolgt wird, dass gleichgeschlechtliche Eheschließungen legalisiert worden sind und dass es überhaupt möglich ist, offen als queere Menschen auf die Straße zu gehen. Der kurzen Geschichte der erkämpften Erfolge steht die lange Geschichte der Diskriminierung und Kriminalisierung gegenüber. Diese hält bis heute an, in Deutschland wie anderswo. Die Demonstrationen am CSD sind seit Jahrzehnten Teil des Ringens um gleiche Rechte und gegen Diskriminierung, denn es ist eben nicht nur ein Tag an dem gefeiert, sondern auch einer, an dem gekämpft wird. Dies liegt bereits in seinem Ursprung begründet – in den Stonewall-Protesten 1969, bei denen queere Menschen genug hatten von den täglichen Schikanen und den Razzien in ihren Bars in der New Yorker Christopher Street, bei denen sie auf die Straße gingen und sich der prügelnden Polizei entgegenstellten.
Heute sieht der CSD anders aus: Er ist meist als einfache Parade, teils sogar von der Stadt selbst, organisiert. Firmen nutzen ihn, um ihre Produkte zu bewerben und haben Queers längst als – teils kaufkräftige – Zielgruppe entdeckt. Im Demozug finden sich Wägen etablierter Parteien wie der SPD oder der Grünen, die im Bundestag offensiv Kriegstreiberei betreiben. Ob auch Parteien wie die CDU oder CSU mitfahren dürfen, die ganz Teile der Community diskriminieren und offen ein rückschrittliches Familienbild propagieren, entscheidet sich von Fall zu Fall. Die herrschende Politik und Konzerne schaffen es, LGBTQI+-Rechte für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Auf der politischen Bühne dienen die Rechte queerer Menschen oft als Vorwand, unliebsame Staaten zu kritisieren, umgekehrt ist pink-washing der eigenen Politik angesagt. Prominente und PolitikerInnen in einflussreichen Positionen durchs politische Spektrum hinweg leben offen geoutet. Also alles gut? Und wo bleibt da noch Platz für Systemkritik?
Die schwer erkämpften Erfolge zeigen in der Tat, dass Verbesserungen erkämpfbar sind, der Kapitalismus die daraus resultierende, wachsende Akzeptanz aushalten kann, aber auch für sich nutzt. Trotz anhaltender Diskriminierung macht es das für viele queere Menschen leichter als noch vor zehn, 30 oder gar 50 Jahren, ein „normales“ – an die Norm angepasstes – Leben zu leben. Das Anpassen an diese Norm ist dabei erstmal Ergebnis des Drucks, genau dies zu tun. Wenn die bürgerliche Kleinfamilie das Ideal ist und andere Formen des Zusammenlebens und -liebens als abnormal oder ungesund gelten, gibt es im Wesentlichen zwei Optionen: Entweder das Ideal als Ausdruck von Spießermoral über Bord zu werfen oder es eben gerade selbst anzustreben und lediglich darum zu kämpfen, dass die Gesellschaft einen auch lässt. So wichtig rechtliche Gleichstellung ist – beim Feiern der 2017 frisch eingeführten „Homo-Ehe“ fiel dann auch oft genug unter den Tisch, dass Forderungen nach der Anerkennung anderer Formen des Zusammenlebens in der Bewegung auch schon mal prominenter waren.
Doch immer wenn aus der queeren Community heraus die Anpassung an die Norm stattfand, folgte die Kritik daran auf dem Fuße. Rosa von Praunheims provokanter Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ kritisierte 1971 den Rückzug Schwuler in die Subkultur ebenso wie eine Anpassung an die Spießermoral. Der Film ruft mit dem Slogan „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“ zur Organisierung auf – und so geschah es dann auch: Er wurde zu einem wesentlichen Anstoß zur Gründung von Schwulengruppen in den 70er Jahren. Viele griffen sozialistische Ideen auf oder standen marxistischem Denken nahe. In der Grundsatzerklärung der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) von 1971 wird etwa die Diskriminierung Homosexueller für untrennbar von der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus erklärt. Damit verbundene Fragen wurden – nicht zuletzt in der als „Tuntenstreit“ bekanntgewordenen Auseinandersetzung in der HAW selbst – kontrovers diskutiert: Wie stehen wir zur Arbeiterbewegung und was folgt daraus? Besteht ein Zusammenhang zwischen der Klassenfrage und der Schwulenunterdrückung und, wenn ja, welcher? Dies warf auch die Frage danach auf, welche Rolle die eigene soziale Herkunft beim Queer-Kampf spielt. Ein Ausdruck davon waren die „Prololesben“-Gruppen der 80er Jahre, in denen sich Lesben aus der Arbeiterklasse zusammenschlossen zur gegenseitigen Unterstützung und zum Erfahrungsaustausch. Dass sozialistische Positionen in der Debatte eine große Rolle spielten, lässt sich nicht trennen von der gesellschaftlichen Stimmung der 60er und 70er Jahre, als es angesichts der Existenz der sozialistischen Staaten für politisch Aktive fast unumgänglich war, sich mit marxistischen Ideen zu beschäftigen und dazu zu positionieren. Mit dem Ende des Realsozialismus in DDR und Sowjetunion verloren marxistische Positionen an Einfluss in der Arbeiterbewegung, in den demokratischen Bewegungen und in der Intelligenz. Dies spiegelt sich selbstverständlich auch in der queeren Bewegung wider – konservative, liberale oder an der Postmoderne orientierte Ideen gewannen an Boden.
Doch marxistische Analysen fielen in der queeren Bewegung nicht ohne Grund vielfach auf fruchtbaren Boden, denn die Erfahrung von Diskriminierung wirft die Frage nach den Gründen dafür auf. Das Erlebnis, wegen der eigenen Sexualität und der bevorzugten Form des Zusammenlebens und -liebens von der Gesellschaft abgelehnt oder gar kriminalisiert zu werden, führt nicht nur zum Zusammenschluss dagegen, sondern auch zur Suche nach den Ursachen. In Form von Polizei und Justiz zeigt sich der bürgerliche Staat als die Instanz, die die herrschende Moral – und damit die Moral der Herrschenden – durchsetzt. Die Antwort auf die Frage nach den Ursachen kann natürlich unterschiedlich beantwortet werden. Schließlich ist es auch möglich, auf liberaleWeise nach Lösungen für das Individuum zu streben und die tieferen gesellschaftlichen Hintergründe unter den Tisch zu kehren. Doch entsprangen aus diesen Erfahrungen, der darauffolgenden Organisation und den Debatten innerhalb dieser Strukturen immer wieder Ansätze, die die Ursache der Diskriminierung in letzter Instanz im Kapitalismus suchten und damit auch seine Überwindung zum Ziel erklärten.
Für uns MarxistInnen ist der Kampf für das Recht auf selbstbestimmte Sexualität verknüpft mit unserem Kampf gegen eine bürgerliche Moral, die tief in der Spaltung der Gesellschaft in Klassen verwurzelt ist. Nach dieser ist die heterosexuelle Kleinfamilie die Norm, die die Reproduktion oder eine geordnete Erbfolge gewährleisten soll. Diesen Verhältnissen entspringt nicht nur die Unterdrückung der Frau, sondern auch der Kampf gegen diverse und nicht-heterosexuelle Formen des Zusammenseins. So richten und richteten sich KommunistInnen schon immer gegen die Spießermoral, die dieses System stützt, uns als Klasse spaltet und damit in dieser Ellenbogengesellschaft auf fruchtbaren Boden fällt. „Und wie die Gesellschaft sich bisher in Klassengegensätzen bewegte, so war die Moral stets eine Klassenmoral, entweder rechtfertigte sie die Herrschaft und die Interessen der herrschenden Klasse, oder aber sie vertrat, sobald die unterdrückte Klasse mächtig genug wurde, die Empörung gegen diese Herrschaft und die Zukunftsinteressen der Unterdrückten“, schreibt Engels im Anti-Dühring. Klar aufzutreten gegen diese herrschende Moral ist umso wichtiger für uns als Jugendorganisation, denn gerade für Jugendliche, die nicht in die vorgegebenen Normen passen, wird die Konfrontation mit den Moralvorstellungen ihrer Umgebung zur harten Probe, die oft genug alleine durchgestanden werden muss.
So verwundert es denn kaum, dass organisierte KommunistInnen sich bereits früh für gesellschaftliche Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung einsetzten und sich von Anfang an in die Bewegung einbrachten. Die Debatten um sozialistische Positionen in der queeren Bewegung ist vom Wirken dieser KommunistInnen nicht zu trennen. August Bebel, Vorsitzender der damals noch revolutionären SPD, unterschrieb die im Jahr 1904 vom Sexualforscher Markus Hirschfeld initiierte Petition gegen den Anti-Schwulen-Paragrafen 175 und hielt im Reichstag die erste Rede dagegen. In dem von Hirschfeld gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee, das sich gegen die Kriminalisierung von Homosexualität durch den Paragrafen richtete, waren Felix Halle und Richard Linsert Mitglied, beide Funktionäre der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD); gerade letzterer prägte die inhaltlichen Auseinandersetzungen des Komitees maßgeblich mit. Die KPD beantragte 1924 die Abschaffung von §175 und eine Amnestie für bereits nach diesem Verurteilte. Die BRD übernahm nach der Befreiung vom Faschismus die im Vergleich1935 durch die Nazis verschärfte Version und strich den zuvor entschärften Paragrafen schlussendlich erst 1994– im Unterschied zur DDR, die die Fassung der Weimarer Republik übernahm, die Verfolgung deutlich früher einstellte und den Paragrafen weit vor der BRD abschaffte. In der Bundesrepublik positionierte sich die DKP mit einem vom Parteitag beschlossenen Grundsatzpapier gegen die Diskriminierung von Homosexualität.
Im Anti-Dühring schreibt Engels weiter: „Eine über den Klassengegensätzen und über der Erinnerung an sie stehende, wirklich menschliche Moral wird erst möglich auf einer Gesellschaftsstufe, die den Klassengegensatz nicht nur überwunden, sondern auch für die Praxis des Lebens vergessen hat.“ In diesem Sinne verbinden wir den Kampf für den Sozialismus mit dem humanistischen Erbe der kommunistischen Bewegung. Damit unterstützen wir aktiv die Bewegungen, die für Schritte in diese Richtung kämpfen – gegen Rassismus, für die Gleichstellung von Frauen und eben auch aller queeren Menschen. Dies halten wir im Zukunftspapier, unserer programmatischen Grundlage fest: “ Wir lassen uns von den Prinzipien des sozialistischen Humanismus leiten. Allerdingt heißt eine selbstbestimmte Gestaltung des eigenen Lebens auch selbstbestimmte Sexualität, denn zur allseitigen Entwicklung der Persönlichkeit gehört auch die freie Entfaltung des Menschen.“ Anders als viele der MitstreiterInnen denken wir jedoch, dass trotz aller erkämpften oder von oben zugestandenen Verbesserungen im Hier und Heute eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und Spießermoral nur dann möglich ist, wenn mit dem Kapitalismus die Wurzel dessen beseitigt und letztlich die Klassenherrschaft überwunden ist.
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