Denkmal Zweiter Weltkrieg

Die Monopole und der Faschismus

veröffentlicht am: 1 Jul, 2023

Berlin im Jahre 1878. Der „Alldeutsche Verband“ – eine wichtige, völkisch ausgerichtete Propagandavereinigung von Monopolkapitalisten und ihrem Anhang – hatte endlich jemanden aus der Nähe der Arbeiterklasse gefunden, der sich für ihre Propaganda hergeben würde. Dieser Adolf Stoecker, von Beruf Hofprediger in Berlin und intim mit Kaiser Wilhelm II bekannt, berief nun nach Berlin eine Versammlung zur Gründung einer nationalistischen, proimperialistischen Arbeiterpartei ein. Ein Riesenerfolg – es kamen fast 1.000 Arbeiter. Nur dass – sehr zum Missfallen der kapitalistischen Auftraggeber Stoeckers – 900 von ihnen den Referenten ausbuhten, dann recht unsanft von der Bühne entfernten und eine Resolution zugunsten der revolutionären Sozialdemokratie annahmen, die Internationale sangen und wieder gingen. Mit diesem Volk – so sagte man sich in den Konzernzentralen – kann man einfach kein anständiger Imperialist sein. Was fehlte den Monopolen und warum?

Imperialistischer Ideologiebedarf

Die Monopole stehen innenpolitisch vor einem grundlegenden Widerspruch: Auf der einen Seite brauchen sie zunehmend das aktive Zutun der ganzen Gesellschaft, um die vergesellschafteten Produktivkräfte in Gang zu setzen und anständig Profit zu machen. Die Monopolkapitalisten allein bauen kein Haus, keine Straße, kein Auto, bilden keinen aus und pflegen auch niemanden. Das alles tun die Arbeiterklasse und die anderen nichtmonopolistischen Schichten. Die sollen das aber so tun, dass es den Profitinteressen der Monopole dient. Auf der anderen Seite müssen diese gegen die ökonomischen und politischen Interessen genau dieser Gesellschaft genauso gesetzmäßig immer wieder verstoßen. So rufen sie immer wieder den Widerstand der Gesellschaft auf den Plan: Die Monopolisten machen die Häuser zu Geldanlagen und provozieren so MieterInnenbewegungen, die Straßen verkommen und immer mehr Menschen begreifen, dass ohnehin viel auf die Schiene verlegt werden müsste. Ausbildung und Pflege wird zusammengespart und drum streiken Pflegekräfte und SchülerInnen. Das monopolkapitalistische Stadium des Kapitalismus kennzeichnet, dass immer gesellschaftlicher produziert wird (immer größere Fabriken, immer weiter verzweigte Produktionszusammenhänge, immer mehr ArbeiterInnen arbeiten gemeinsam, die gesamte Gesellschaft wird in Produktion einbezogen) und die private Aneignung der geschaffenen Werte.

Die Gesellschaft verarmt, der Reichtum konzentriert sich in immer weniger Händen. Die KommunistInnen sprechen hier vom Widerspruch zwischen den Monopolen und den Volksmassen, der sich politisch, ideologisch und ökonomisch ausdrückt. Folglich brauchen die Monopolherren eine Ideologie unter den Beherrschten, die Wut, Ablehnung, kurz gesagt: das Protestpotential einfängt, desorientiert, im Idealfall auf die Feinde der Monopole umlenkt.

Ideologien sind immer Widerspiegelungen der objektiven Realität, der realen Welt. Sie bilden also die gesellschaftliche Realität von einem bestimmten Standpunkt aus ab – die Kapitalisten haben aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft notwendig eine andere Ideologie als die ArbeiterInnen. Die realen gesellschaftlichen Widersprüche so zu verfälschen, dass sie für die Herrschenden nutzbar werden, das muss eine Ideologie leisten, um vom Kapital gefördert zu werden. Die Aufgabe einer spezifisch imperialistischen Ideologieverbreitung nimmt im entstehenden wie entwickelten staatsmonopolistischen Kapitalismus ein riesiger Apparat an Funktionären der Monopole und des Staates wahr. Für diejenigen Teile der Bevölkerung, die sich von den bereits vorherrschenden Varianten bürgerlicher Ideologie nicht einfangen lassen wollen, deren Protest zu eindeutig nach einem Ausdruck verlangt, schufen die Monopole und ihr Staat die historische faschistische Bewegung.

 

Faschismus als Bewegung

Die faschistische Bewegung erfüllte im Wesentlichen die Funktion, das Protestpotential zu sammeln und die Ausgebeuteten vom Kampf für die eigenen Interessen abzuhalten. Arbeitslose bekamen Süppchen, viele wieder eine Uniform und streikende Prügel – so wie es das Monopolkapital will. Hat man das Protestpotenzial gesammelt, kann man es ideologisch bearbeiten: Rassenideologie anstelle des Klassengegensatzes, völkischer Unsinn und brutal-stumpfe „Blut-und-Boden“- Ideologie an der Stelle von Solidarität und Organisation. Die so zugerichteten Teile des Protestpotentials konnten dann gegen die außen- und innenpolitischen Gegner der deutschen Monopole in Stellung gebracht werden. So verprügelten 1928 Wohnungslose, die erst kurz zuvor in SA-Kasernen eine Unterkunft gefunden hatten,  MieteraktivistInnen, die unter der Leitung der KPD gegen die Berliner SPD-Stadtregierung Wohnungen für ArbeiterInnen forderten.

Zwischen den Faschisten auf der Straße, den Regierungen und den Funktionären der Monopole und ihres Staates findet ein enges Wechselspiel statt. Faschisten provozieren, und sofort ist die Polizei zur Stelle, den antifaschistischen Jugendprotest niederzuknüppeln. Nach einigen solcher Aktionen kann man so wunderbar das nächste Polizeigesetz begründen oder aktuell Berufsverbote fordern. Der Aufbau des repressiven Staates wird aktuell vor allem mit dem Kampf „gegen Rechts“ begründet- real trifft er dann aber die fortschrittlichen Kräfte. Und leider verfängt das – so mancher „Antifaschist“ findet sich so sehr schnell auf der Seite der Staatsumbauer wieder. Man kann aber auch – wie bei der faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl in den 1990er Jahren direkt tun, was die Faschisten auf der Straße fordern.

 

Monopolherrschaft und Demokratieabbau

Das Monopol – so analysiert Lenin – will Herrschaft, nicht Freiheit. Anders als die vielen einzelnen kleinen Kapitalisten des „Kapitalismus der freien Konkurrenz“ haben die Monopole viel weitergehend vergesellschaftete Produktivkräfte zur Grundlage.

Als Ausdruck der kleinen Kapitalisten und ihrer Konkurrenz entstand die bürgerliche Demokratie. Es sollte das Interesse der Kapitalisten als Klasse gefunden und durch den Staat durchgesetzt werden. Den Monopolen reicht das nicht: In diesem Parlamentarismus, in dieser Demokratie kommen viel zu viele Interessen der kleinen Kapitalisten, hin und wieder sogar proletarische Interessen in den Staatsapparat. Also entmachten sie tendenziell das Parlament und verschmelzen direkt mit dem Staatsapparat dort, wo sie ihn brauchten. Es entstehen „staatsmonopolistische Komplexe“. Wegen der enormen ökonomischen und gesellschaftlichen Macht der Monopole werden ihre Interessen, ihre Absichten, ihre Differenzen mehr und mehr die allein bestimmenden Faktoren im Staatsapparat. Um die durchzusetzen, braucht es Elemente der bürgerlichen Demokratie. Die Integration der Volksmassen durch eine „demokratische Beteiligung“, wenn auch allein an der Wahlurne, bewährt sich noch heute.

 

Der Faschismus als Herrschaftsform

Der Faschismus bricht mit dieser Form der Aushandlung: Unter ihm wird nicht mehr ausgehandelt, nur das Interesse der „reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen“ Elemente des Monopolkapitals wird umgesetzt. Ob diese Interessen vermittels der faschistischen Diktatur umgesetzt werden, hängt von der konkreten Situation ab – schätzt das Kapital ein, dass die Interessen nicht mehr anders durchsetzbar sind? So ist Dimitroffs Definition des Faschismus zu verstehen. So erklärt sich auch ihre besonders aggressive Erscheinung: Es musste nicht nur die Arbeiterbewegung, vor allem die KommunistInnen zerschlagen werden, sondern sämtliche bürgerliche Parteien. Historisch hat war die Aufrichtung der faschistischen Diktatur ein relativ langer und komplizierter Prozess. Die DDR-Geschichtswissenschaft geht hier von der Phase von 1933 bis 1935 aus, in der die staatsmonopolistischen Komplexe gegnerischer Monopolgruppen aufgelöst und „Reichsgruppen der Industrie“ neu zusammengesetzt werden mussten. In diesen Reichsgruppen herrschten dann direkt die Vertreter der entsprechenden Monopole und verbanden sie direkt mit dem faschistischen Staat. Der Staatsapparat wurde ausführlich gesäubert, auch wenn gerade auf den unteren Ebenen viele Staatsdiener weiter ihrer Aufgabe nachkamen – mit dem Polizeimeister um die Ecke verschmilzt das Monopolkapital ja auch nicht.

 

Nichtfaschistische Monopole?

Diese Erscheinungen verleiten zu einer falschen, opportunistischen Lesart von Dimitroffs Definition: Man liest sie so, als gebe es Monopole, die faschistisch seien und solche, die kein Interesse am Faschismus hätten. Aus dieser falschen Deutung wird dann eine Überdehnung des Volksfront-Bündnisses bis hin zur ehrlichen Bündnisarbeit mit dem jeweils anderen Monopolteil.

Tatsächlich ist es so: Der Imperialismus ist nicht friedensfähig, die Monopole an sich stehen der Demokratie feindlich gegenüber. Welche Monopole wann den imperialistischen Krieg und damit ggf. auch den Faschismus wollen, gegen wen und mit welchem Ziel, ist eine für die Monopole taktische Frage. Die DDR-Geschichtswissenschaft, vor allem Kurt Gossweiler und Jürgen Kuczinsky mit ihren Forschungskollektiven, wiesen anhand der Finanzierung der faschistischen Partei durch die Monopole nach, dass beide damals relevanten Monopolgruppen die Nazis bzw. Teile von ihnen finanzierten.

Diese Erkenntnis hat weitreichende Folgen für die antifaschistische Strategie und Taktik, die die KommunistInnen in die antifaschistische Bewegung einbringen: Der Kampf darf sich nicht nur auf die Symptombekämpfung, nicht allein auf den Kampf gegen die faschistische Bewegung beschränken- er bleibt wohlfeil wie folgenlos, wenn er nicht ausgehend von der Bekämpfung der konkreten faschistischen Bedrohung gegen die Monopole und ihren Staat geführt wird, denn ihr kapitalistisches System ist letztlich der Boden, auf dem der Faschismus gedeiht.

 

Kurt Baumann

Bild: „Burgstädt Denkmal Zweiter Weltkrieg“ by Aagnverglaser is licensed under CC BY-SA 4.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/?ref=openverse.

Hintergrund:

Georgi Dimitroff
Georgi Dimitroff war bulgarischer Kommunist. In den landwirtschaftlich geprägten Gebieten als Kader eingesetzt, warb er für die Aneignung der Leninschen Lehre des Bündnisses von Arbeitern und Bauern. Bereits in den frühen Schriften erarbeitet er Ansätze, um auch das städtische Kleinbürgertum in die Kämpfe der Arbeiter und Bauern gegen das große Kapital einzubeziehen. Nach dem Aufstand 1923 in die Illegalität gedrängt, arbeitet er im Apparat der Kommunistischen Internationale. Er wird 1933 in Deutschland verhaftet und wegen angeblicher Beteiligung am Reichstagsbrand angeklagt. Er verteidigt sich so hervorragend, dass die Faschisten ihn freilassen müssen. Nach Moskau ausgewiesen, wird er Vorsitzender der Kommunistischen Internationale und hält auf dem VII. Weltkongress das Hauptreferat: „Arbeiterklasse gegen Faschismus“, das international wirkte und die bis heute grundlegendste Definition des Faschismus lieferte. Seine theoretischen Beiträge bilden Grundlagen der marxistisch-leninistischen Strategie und Taktik vom antifaschistischen Kampf der KPD über den Kampf der SED um die antifaschistisch-demokratische Umwälzung bis hin zum Aufbau des Sozialismus in der DDR. In der antimonopolistischen Strategie der DKP leben seine Orientierungen bis heute fort.

Gruppenkarte

finde die SDAJ Gruppe in deiner Nähe!

mehr zum Thema

Die neue alte Rechte

Die neue alte Rechte

Immer wieder werden Berichte über die rechte Öko-Sekte „Anastasia“ veröffentlicht, die sich in ländlichen Regionen zusammenrottet, um aus dem gesellschaftlichen Alltag auszusteigen. Die esoterische Gemeinschaft fühlt sich dort wohl, wo sie kaum jemand sieht....

mehr lesen
Rechte Netzwerke und der Staat

Rechte Netzwerke und der Staat

Niemand wundert sich mehr, wenn wieder eine rechte Chatgruppe bei der Polizei auffliegt, oder ein Waffenlager bei einem Bundeswehrsoldaten. Ein bisschen haben sich die Leute vielleicht noch gewundert, als im Dezember 2022 bekannt wurde, dass eine ehemalige...

mehr lesen
Die BRD und der Neofaschismus

Die BRD und der Neofaschismus

Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Demokratisierung, Entmonopolisierung – diese vier klaren Ziele hatte die Anti-Hitler-Koalition im Potsdamer Abkommen für den Aufbau eines neuen Deutschlands festgehalten. Diesen Zielen lag ein Verständnis davon zugrunde, welche...

mehr lesen