Gewerkschaften und die Verkürzung der Arbeitszeit heute
Historisch ist das Thema Arbeitszeitverkürzung sehr präsent in den Gewerkschaften. Sei es der Kampf um den 8 Stunden Tag, die 35 Stunden Woche der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie oder der arbeitsfreie Samstag, die Gewerkschaft ohne das Thema Arbeitszeitverkürzung ist nicht vorstellbar. Schaut man sich heute jedoch in den Gewerkschaften um, kann man misstrauisch werden. Der 8-Stunden-Tag ist über 100 Jahre alt, die DGB-Kampagne „Samstags gehört Vati mir“ war in den 50ern und auch die 35h-Woche der IG Metall gibt es inzwischen länger, als für sie gekämpft wurde. Die Frage, die sich stellt: Haben die Gewerkschaften den Kampf um die Arbeitszeit aufgegeben? Und es stimmt: Große Erfolge bei der Senkung der Arbeitszeit gab es länger keine mehr. Das heißt aber nicht, dass das Thema Arbeitszeit in den Gewerkschaften tot wäre. Ganz im Gegenteil, in quasi jeder Gewerkschaft ist Arbeitszeit ein Thema, doch wie sieht das genau aus?
Die 35h Woche Ost… auf betrieblicher Basis
Fangen wir in der IG Metall an: Diese hat auf ihrem Gewerkschaftstag 2019 beschlossen, dass sie sich wieder für die 35h Woche in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie stark machen will. Ein Kampf, den man Anfang der 2000er Jahre verloren hatte. Die Forderung nach der sogenannten Angleichung Ost fand sich dann auch in den Forderungen der ostdeutschen Tarifgebiete wieder und in den Tarifrunden 2020, 2021 und 2022. Das Problem: In Ostdeutschland sind in erster Linie Automobilzulieferer arbeitskampffähig, die ihre Teile an die großen Automobilisten in Westdeutschland (v. a. Bayern und BaWü) liefern. Das bedeutet zweierlei Dinge: Zum einen richten Streiks in Ostdeutschland weniger Schaden an, da es um weniger Geld geht. Zum anderen werden die westdeutschen Automobilisten auf Streiks im Osten mit Gegenmaßnahmen wie Aussperrungen reagieren, was die Solidarität untergräbt, weil sich viele KollegInnen die Solidarität schlichtweg nicht leisten können. Was man deswegen seit Anfang 2021 macht, ist die 35h Woche Ost in Haustarifverträgen auf betrieblicher Ebene abzuschließen. Klingt erstmal gut, hat allerdings einen Haken: Nicht alle Belegschaften sind gleich stark. Heißt, dass die starken Belegschaften die 35h Woche bekommen, während man in der Fläche nicht mehr dafür mobilisieren kann, da die starken Betriebe die 35h Woche ja schon haben. Gewerkschaftlicher Solidarität entspricht das nicht.
Arbeitszeiten, die zum Leben passen… oder auch nicht
Einen anderen Weg ist die IG Metall 2018 gegangen. Anstatt für alle die Arbeitszeit abzusenken, hat man sich entschieden, flexiblere Arbeitszeiten zu fordern. So kann man seine Arbeitszeit vorübergehend auf 28 h pro Woche „verkürzte Vollzeit“ absenken und hat 2 Jahre lang ein Rückkehrrecht auf tarifliche Vollzeit. Auch in der EVG hat man Gefallen an diesem Gedanken gefunden. Hier hat man zwei Tarifrunden hintereinander Wahlmodelle abgeschlossen, wo man sich der einzelne Beschäftigte zwischen 2% mehr Lohn, 1 h weniger Arbeit pro Woche oder 6 Tagen mehr Urlaub pro Jahr entscheiden konnte. Modelle, die die Arbeitszeit flexibilisieren, haben im Prinzip immer die gleichen zwei Probleme: Zum einen muss man sich die Flexibilisierung leisten können – wer auf den Lohn angewiesen ist, kann die Arbeitszeit nicht absenken. Zum anderen erschweren solche Abschlüsse immer zukünftige Forderungen zum Thema Arbeitszeit, da es schwer ist, einheitliche Forderungen bei unterschiedlichen Voraussetzungen aufzustellen.
Wie man für die 4-Tage-Woche kämpft… und wie nicht
Eine Idee, die die IG Metall das erste Mal im Frühjahr 2020 auf den Weg gebracht hat, war die Idee einer 4-Tage-Woche. Jörg Hofmann, der Vorsitzende der IG Metall, hatte sie damals vorgeschlagen, um Arbeitsplätze zu retten. Sein konkreter Vorschlag war damals, ein Angebot an die Betriebe zu machen, die 4-Tage-Woche bei einem Teillohnausgleich wahlweise auf freiwilliger Basis für einzelne Abteilungen oder gleich für ganze Betriebe einzuführen. Kurzum: Man wollte der Verzichtslogik der Betriebe folgen. Zwar etwas irreführend, aber wesentlich interessanter ist der aktuelle Ansatz in der norddeutschen Stahlindustrie. Hier fordert die IG Metall eine 4-Tage-Woche. Das Problem ist, dass es kein vollständiger Tag weniger ist, sondern je nach Schichtmodell maximal 3h, im ungünstigsten Fall sogar nur noch weniger pro Woche. Ein Risiko daran ist auch, dass die IG Metall zwar durchaus vollen Lohnausgleich fordert, allerdings bisher keine Rede von einem Personalausgleich ist. Das bedeutet, dass die Beschäftigten die Arbeitszeitverkürzung im Zweifelsfall zwar nicht mit ihrem Lohn bezahlen, aber dafür mit der Verdichtung ihrer eigenen Arbeit. Von einer 4-Tage-Woche, in der man die Arbeit von 5 Tagen zu erledigen hat, hat man im Endeffekt relativ wenig. Man bezahlt sie zwar nicht mit Geld, sondern mit Überstunden und einem eventuellen Burn-out.
Was jetzt?
Wenn man sich die verschiedenen Modelle anschaut, sieht man, dass Arbeitszeitverkürzung durchaus noch Thema in den Gewerkschaften ist. Und es ist auch dringend notwendig. Das Arbeitsvolumen in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Würde man die Anzahl der in Deutschland geleisteten Arbeitsstunden gleichmäßig auf alle arbeitenden und arbeitssuchenden Menschen verteilen, entspräche das 25h Arbeit pro Person und Woche. Was stattdessen passiert, ist, dass sich Menschen auf der einen Seite aufarbeiten mit teilweise deutlich über 40 h die Woche und andere von ihren Teilzeitjobs nicht mehr leben können. Wenn wir das verändern wollen, müssen wir die Arbeitszeit verkürzen. Ein sinnvoller erster Schritt könnte die flächendeckende Einführung der 35h-Woche sein. Längerfristig muss das Ziel für jede/-n KollegIn, der es ernst meint, die 30h Woche sein. Diese muss bei vollem Lohn- und Personalausgleich passieren, damit wir sie am Ende nicht auf die eine oder andere Weise selbst bezahlen.
Nikos, Nürnberg