Der marxistische Spickzettel: Die Röhm-Putsch-Legende

veröffentlicht am: 6 Mai, 2024

Putsch oder innerfaschistischer Streit?

Bad Wiessee in Bayern, 1934: Ernst Röhm, Führer der SA und Reichsminister ohne Geschäftsbereich, wird von seinem alten „Kameraden“ Adolf Hitler mit vorgezogener Pistole verhaftet. Die bürgerliche Geschichtsschreibung steht Kopf ob dieses faszinierenden Vorgangs – warum wurde Röhm verhaftet und anschließend umgebracht? Da wird viel psychologisiert – von Vertrauensbruch ist die Rede, homophobe Thesen über Sexualität in der „Männergemeinschaft SA“ grassieren und alles in einem ist es auf den ersten Blick sehr unübersichtlich, warum sich die Hitlerfaschisten ihrer liebsten Prügelbande entledigten.

Die marxistische Geschichtswissenschaft in der DDR zeigt im Gegensatz zur hierzulande herrschenden Legende auf, dass es sich um „[…] den Versuch bestimmter Kreise der herrschenden Klasse und ihrer politischen und militärischen Exponenten […]“ gehandelt habe, „die Krise, in welche die Konsolidierungsphase der faschistischen Diktatur geraten war, mit einem Gewaltstreich zu beenden.“, so der marxistische Faschismusforscher Kurt Gossweiler. Denn: Die faschistische Massenbasis war unzufrieden. Die wirtschaftspolitischen Versprechen der Hitlerfaschisten, bspw. die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit, waren längst nicht eingelöst, die Gewerkschaften wurden zerschlagen und mit dem „Arbeitsordnungsgesetzt“ vom Januar 1934 wurde den ArbeiterInnen ihre Interessensvertretung ebenso wie ihre betrieblichen Rechte gänzlich entrissen. Dadurch, dass die Arbeiterorganisationen unlängst verboten worden waren, konnten die Kapitalisten gleichfalls die Löhne weiter senken, wogegen die faschistische „Deutsche Arbeitsfront“ natürlich nichts tat, hatte sie doch von der Interessensgleichheit des „schaffenden Kapitals“ und der Arbeiterklasse in der „Volksgemeinschaft“ gesprochen.

Die zweite Reaktion

Die SA, die sozusagen die Massenorganisation der Faschisten darstellte, war von dieser Unzufriedenheit ebenfalls betroffen, da sie sich vor Allem aus dem riesigen Arbeitslosenheer rekrutiert hatte. Ihre Forderung: Nach der Machtübergabe an die Faschisten müsse nunmehr die „zweite Revolution“ eingeläutet und also die versprochenen Wirtschaftsreformen umgesetzt werden. Gleichzeitig war die Beseitigung Röhms und der SA-Führung aber auch Ausdruck eines Interessenskonflikts zwischen den zwei dominanten Monopolfraktionen: Einerseits die Schwerindustrie (Kohle- und Stahlunternehmen), andererseits die neuen Elektro- und Chemieunternehmen (IG-Farben, Siemens). Während zwar beide die Auflösung der Republik anstrebten, war der Weg dahin doch nicht unumstritten. Die Schwerindustrie bspw. förderte schon lange vor der Machtübergabe an die Faschisten Putschversuche, während die neue Industrie v.A. die Sozialdemokratie stillhalten wollte und den „legalen“ Weg bevorzugte. Beide hatten die Hitlerfaschisten gestützt, doch wollte nun vor Allem die Schwerindustrie „ihren“ Wirtschaftsminister in Stellung bringen und den bis dahin amtierenden Wirtschaftsminister ablösen, der vor Allem mit der Chemieindustrie eng verbunden war. Solche Fälle gabs natürlich in vielen Bereichen des hitlerfaschistischen Machtapparats, es ging um die Frage der Unmittelbarkeit der Durchsetzung der Interessen von Monopolfraktionen. Ganz konkret wurde diese Frage an der Person Röhms, da v.A. die Schwerindustrie massiv auf die Reichswehr setzte, für die wiederum die SA mehr und mehr zur direkten Konkurrenz wurde, die forderte, „alleiniger Waffenträger der Nation“ zu werden. Und so stellt sich die Mordaktion der Faschisten am Ende vor Allem als eines dar: die blutige Lösung von Personalfragen und des Kampfes um die Vormacht der beiden dominierenden Monopolfraktionen. Im Zuge der Mordaktion hat es dabei nicht nur Röhm und die SA getroffen – sozusagen im Handstreich entledigte man sich auch des ehemaligen Reichskanzlers Kurt von Schleicher und, weil die Gelegenheit für die Faschisten günstig war, zahlreicher Widerstandskämpfer, die mit diesem Konflikt nichts zu tun hatten – genannt sei hier stellvertretend der Sozialist Erich Mühsam, der noch im Juli 1934 von den Hitlerfaschisten ermordet wurde.

Tipp zum weiterlesen: https://kurt-gossweiler.de/der-roehm-putsch-der-keiner-war-legenden-und-tatsachen-um-den-30-juni-1934-29-30-juni-2004/

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