Werben fürs Sterben: Das Spielen mit Zukunftsängsten

veröffentlicht am: 17 Aug, 2024

Kriegsherde in aller Welt, steigende Preise, Spaltung der Gesellschaft: Krisen im In- und Ausland bestimmen unser Leben. In ihren groß angelegten Werbekampagnen greift die Bundeswehr die wachsende Unsicherheit unter Jugendlichen auf.

„Was zählt, wenn die Welt um uns rauer wird?“, steht auf einem Plakat. Die Lösung scheint zu sein: Krisenbewältigung durch Schießen. Die Bundeswehr greift nach allen Werbemitteln, um für Nachwuchs zu sorgen, und das hat sie aus der Perspektive der Herrschenden auch bitter nötig. Ständig hören wir Klagen darüber, dass die Bundeswehr unterfinanziert und als Arbeitgeber noch nicht attraktiv genug sei. Das Heer und die Politiker arbeiten Hand in Hand mit Appellen an die Bevölkerung und dem Schmieden von Plänen, um Deutschland, wenn man nach unserem

Verteidigungsminister Boris Pistorius geht, wieder kriegstüchtig zu machen. Mittlerweile ist es parteiübergreifender Konsens, sich mindestens für ein verpflichtendes Dienstjahr auszusprechen.

 

Verschwiegene Wahrheiten

 

Wenn man den Schlagzeilen einiger Zeitungen glaubt, spricht sich die große Mehrheit der Deutschen für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Sollten wir dann nicht einfach akzeptieren, dass die Kriegspropaganda zu stark war und das Beste daraus machen? Faktisch ist es richtig, dass zwei Drittel der deutschen Bevölkerung eine Wiedereinführung der Wehrpflicht wollen. Doch wenn man sich die Altersverteilung in den Umfragen anschaut, ergibt sich ein anderes Bild. Während die älteren Bevölkerungsschichten ab 30 Jahren auf den

Kriegskurs setzen, ist die Stimmung unter den Jugendlichen zwischen 16 und 29 – denen, die von einem solchen Gesetzesentwurf betroffen wären – genau umgekehrt. Hier sprechen sich zwei Drittel der Befragten gegen die Rückkehr der Wehrpflicht aus. Doch davon hört man wenig.  Nichtsdestotrotz mag es überraschen, dass es überhaupt Jugendliche gibt, die sich eine Zukunft aus Drill, Waffen und Kriegsvorbereitung vorstellen können. Verständlich wird das, wenn man sich die anderen Bildungsmöglichkeiten nach der Schule anschaut. Egal ob Ausbildung oder Studium: es ist ein Balanceakt, sich zwischen dem Burn-Out in der Pflegeausbildung oder der drohenden Arbeitslosigkeit nach dem Philosophiestudium, zwischen miesen Arbeitsbedingungen in der

Handwerkerausbildung und dem gnadenlosen Aussieben im Medizinstudium zu entscheiden. Perspektivlosigkeit, psychische Krankheiten und das komplette Rausfallen aus dem System werden unter Jugendlichen immer häufiger und sind ein Resultat der allgegenwärtigen Krisen eines Systems, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Die erfolgversprechendste Konsequenz ist es dann wohl, nach dem einfachsten Weg hin zu einem erträglichen Leben zu suchen. Die Bundeswehr weiß dieses Bedürfnis aufzugreifen.

 

Kündigung? Ein Privileg!

 

Die Studiumsbedingungen an einer Universität der Bundeswehr klingen verlockend: von Lernen in kleinen Gruppen, strukturierten Praxisphasen und regelmäßigen Gehaltszahlungen können die meisten Studierenden ansonsten nur träumen. Es wird auf die deutschlandweite Bildungskrise gesetzt, um die Soldaten von morgen für sich zu gewinnen.

Damit dies erfolgreich ist und die fertig studierten Ärzte, Musiker und Köche keine jahrelange Ausbildung genießen, um letztendlich einen Beruf in der freien Wirtschaft zu ergattern, gilt die Bedingung einer „Dienstzeit“: ein Euphemismus für eine Verpflichtung, die 13 bis 17 Jahre dauert. Verpflichtung bedeutet, sich jederzeit für Versetzungen im Bundesgebiet und für den Einsatz im Ausland bereit zu erklären. Bei einem Blick darauf, wie massiv sich die Kriegspropaganda und die Aufrüstung in den vergangenen zwei Jahren verschärft hat, wird klar, dass man sich bei einem Studiumsbeginn zum jetzigen Zeitpunkt darauf gefasst machen muss, in den nächsten Jahren in einen Krieg von noch nicht absehbaren Ausmaßen geschickt zu werden.  In einem Beruf in der freien Wirtschaft könnte man bei plötzlichen Zweifeln an seiner Tätigkeit einfach kündigen. Doch auch in dieser Hinsicht ist die Bundeswehr kein normaler Arbeitgeber. Bei Befehlsverweigerung drohen harte Strafen, die bis zu einer dreijährigen Haft reichen. Die Möglichkeit, einen offiziellen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen, birgt viele Hürden.

Neben einem tabellarischen Lebenslauf muss dem Antrag eine persönliche Darlegung der Gewissensentscheidung beiliegen, in der ausführlich und „nachvollziehbar“ erläutert wird, warum der noch verpflichtete Soldat seinen Dienst an der Waffe nur unter schwerster emotionaler Not ausführen könnte, und welche Ereignisse und Überlegungen zu der endgültigen Entscheidung geführt haben. Dass die „Nachvollziehbarkeit“ ein offizielles Kriterium ist, nach dem das verantwortliche Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben über die Gültigkeit des Antrags entscheiden darf, zeigt, dass diese Entscheidung nach subjektivem Ermessen getroffen wird. Bei einer Ablehnung des Antrags bleibt nur zu hoffen, dass ein gerichtlicher Widerspruch erfolgreicher ist. Aber auch die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung birgt existenzielle Risiken: es besteht kein Anspruch auf Wiedereingliederungshilfen in das Berufsleben oder auf Arbeitslosengeld, sodass man sich mit Bürgergeld über Wasser halten muss. Etwaige Ausbildungskosten müssen zurückgezahlt werden.

Die Bundeswehr nutzt die Perspektivlosigkeit der Jugend schamlos aus, um durch ansprechend gestaltete Werbemaßnahmen ein heroisches Bild des Wehrdienstes zu zeichnen. Die Realität zeigt, dass der Wunsch nach einer aushaltbaren Ausbildung bedeuten kann, Jahre später in Kriegsgebieten kämpfen und sterben zu müssen. Die Bundeswehr ist eben doch kein normaler Arbeitgeber. Als antimilitaristische Jugendorganisation stellen wir uns klar gegen mehrjährige Verpflichtungen, stellen uns gegen Aufrüstung und Aggression, stellen uns gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht! Weil kein Jugendlicher für die Großmachtambitionen der westlichen Staaten sterben sollte.

Anna, Solingen

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