Wir sind mittendrin in den Vorbereitungen für die Tarifrunde Öffentlicher Dienst Anfang nächsten Jahres. Um festzustellen, welche Forderungen aufzustellen sind, macht Ver.di eine Befragung der Mitglieder. Konkret wird gefragt, ob man mehr Geld, kürzere Arbeitszeit oder das Wahlmodell zwischen beiden will. Dabei ist mit der großen Arbeitszeitumfrage der Ver.di im Frühling dieses Jahres deutlich geworden, dass vor allem die Belastung der Beschäftigten immer größer wird. 57,5% der Leute im ÖD sind durch unbesetzte Stellen stark beansprucht. In diesen Bereichen erleben 2/3 der Beschäftigten gesundheitlich negative Auswirkungen. Und woher kommt das? Seit 2020 arbeiten 100.000 Vollzeitkräfte weniger im ÖD. Der ökonomische Druck durch den Neoliberalismus und die damit einhergehende Schuldenbremse, welche den Staat zwingt, immer mehr zu privatisieren und zu kürzen, spüren die Kolleg*innen jeden Tag.
Aber was heißen diese Ergebnisse für uns? Was auswählen in den Forderungsfindungen?
Es wird in den nächsten Tarifrunden darum gehen, die Verluste der letzten Jahrzehnte zu minimieren. Die Armut muss mit hohen Festgeldforderungen bekämpft werden, und die Arbeitsverdichtung muss durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich gesenkt werden. Unbesetzte Stellen besetzen und mehr Stellen schaffen, ist die Devise.
Was, wenn das Wahlmodell kommt?
Die Folge wäre die Spaltung zwischen den Leuten, bei denen es um jeden Cent geht, und den höheren Lohngruppen, welche sich Arbeitszeitverkürzung leisten können. Das sorgt auf Dauer für die Verschlechterung der gewerkschaftlichen Durchsetzungskraft. Erfahrungen gibt es dazu schon bei der Telekom oder der Bahn.
Aber was tun?
Kopf in den Sand stecken bringt uns nicht weiter. Deshalb: Die Festgeldforderung muss hoch sein. Gerade die unteren Gruppen brauchen finanzielle Ausgleiche, weil die Inflation der vergangenen Jahre sie besonders betrifft. Denn was das Wahlmodell für die unteren Gruppen bedeutet, ist das Entscheiden zwischen Essen und Gesundheit (Arbeitsverdichtung).
So brauchen besonders Niedrigverdiener die Arbeitszeitverkürzung, um Stress zu reduzieren, können sie aber nicht fordern. Viele Beschäftigte in Krankenhäusern oder im Sozialen und Erziehungsdienst arbeiten in erzwungener Teilzeit, weil der Job für Vollzeit zu belastend wäre und/oder die betrieblichen Abläufe auf Teilzeit ausgelegt sind. Und vor allem Frauen sind wegen der unbezahlten Pflege- und Erziehungsarbeit zuhause Teil dieser Gruppen.
Aber warum wird das Wahlmodell überhaupt vorgeschlagen?
Durch die Schwäche der gewerkschaftlichen Kampfkraft werden höhere Gehaltsgruppen durch Prozentforderungen nicht mehr hinter dem Ofen hervorgeholt. Gerade das könnte eine Wahlmodellforderung schaffen. Das Argument, das das Wahlmodell neue Möglichkeiten eröffnet, ist also schlicht das Bejubeln der eigenen Ohnmacht.
Was wir schaffen müssen, ist das Wiedererstarken der gewerkschaftlichen Kampfkraft. Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich und starke Lohnsteigerungen sind immer eine Frage der Durchsetzungskraft.
Deshalb beteiligt euch mit euren KollegInnen an der Forderungsfindung und kommt mit ihnen ins Gespräch. Denn schon hier beginnen das Organisieren und die demokratische Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen für die kommenden Kämpfe.