Kommentar zum Ergebnis der Arbeitskämpfe in der Metall- und Elektro-Industrie
Die Tarifrunde in der Metall-und Elektro-Industrie ging in diesem Jahr keineswegs so reibungslos über die Bühne wie von vielen erwartet. Die IG Metall zeigte Zähne. Nicht nur wenige Stunden andauernde Warnstreiks fanden statt, sondern in 275 Betrieben wurden die neu eingeführten 24 Stundenstreiks durchgezogen und machten klar was die KollegInnen, wenn sie sich einig sind, für eine Macht haben. Das war wichtig, auch weil vieles erst wieder erlernt werden musste: Wie machen wir den Betrieb denn jetzt wirklich so dicht, dass niemand reinkommt? Wie ist das eigentlich mit den Streikposten und wie überzeuge ich die KollegInnen morgens um halb 5 da zu sein, um das Tor zu versperren, aber auch die nächsten 24 Stunden abzusichern, dass das Tor auch zu bleibt? Wie können Unterstützer von außerhalb genutzt werden, ohne dass sie sich in den Vordergrund drängen? Wie können wir die Zeit nutzen, um auch inhaltliche Debatten voranzubringen und noch vieles mehr.
Von dieser Seite her betrachtet hat sich diese Tarifrunde sehr gelohnt. Denn das, was jetzt an gemeinsamen Erfahrungen, auch und gerade in Bezug auf Solidarität, gemacht wurde, kann niemand den KollegInnen nehmen und es kann wieder zum Einsatz kommen. Einerseits im betrieblichem Alltag, aber natürlich auch bei nächsten Tarifrunden und dann vielleicht nicht nur für 24 Stundenwarnstreiks, sondern auch mehr, wenn sich die kämpferischen KollegInnen durchsetzen können. Das ist aber nur die eine Seite der Tarifrunde. Die andere ist der erzielte Abschluss.
Diskussion um die Arbeitszeit
Inner- und außerbetrieblich wurde während der Tarifrunde viel über die Frage der Arbeitszeit diskutiert. Gemäß dem vorliegenden Abschluss können theoretisch alle Beschäftigten ihre Arbeitszeit individuell auf 28 Stunden pro Woche zu reduzieren. Das ist ein erster Erfolg. Allerdings müssen die „Arbeitgeber“ das nur für 10 % der Beschäftigten genehmigen oder können es ganz verweigern, falls der „Verlust von Schlüsselqualifikationen“ droht. Und es gibt keinen Lohnausgleich. Zwar gibt es die Möglichkeit das tarifliche Zusatzgeld in Urlaubstage umzuwandeln, sodass bei besonders belasteten Beschäftigten, bspw. in Schichtarbeit, bis zu zwei freie Bonustage hinzukommen.
Doch auf der anderen Seite freuen sich die Arbeitgeber über die lange Laufzeit des Tarifvertrags von 27 Monaten, besonders aber über die Möglichkeit freiwilliger Betriebsvereinbarungen zum „kollektiven betrieblichen Arbeitszeitvolumen“. Möglich ist damit die Verlängerung der Arbeitszeit von z.B. drei Beschäftigten auf 40 Stunden pro Woche durch die Einstellung einer Teilzeitkraft. Hier ist klar, dass die Arbeitsgeber versuchen werden, einzelnen Belegschaften nach und nach mit Erpressungen wie angekündigten Werkschließungen, Massenentlassungen etc. die freiwilligen Betriebsvereinbarungen aufzunötigen. Hier müssen alle ehrlichen Gewerkschaftler wachsam sein und gegen diesen Türöffner zum Ende der 35–Stunden-Woche vorgehen.
Welche Tendenz zeigt sich darin?
Wie auch schon in den letzten Tarifrunden der M&E Industrie zeigt sich hier eine sehr problematische Tendenz: zunehmend wird der eigentliche Sinn des Flächentarifvertrags umgangen, nämlich die Konkurrenz der Arbeitenden untereinander zu begrenzen und dem Kapital Mindeststandards abzuringen, die dann für alle gelten. Es werden immer mehr Regelungen auf die betriebliche Ebene geschoben, in einem Bereich, wo die Möglichkeit
für Erpressung durch das Kapital höher, die Kampfmittel der KollegInnen mindestens eingeschränkter und die Solidarität der Gesamtorganisation nicht immer gegeben ist. Zu nennende Beispiele wären die Regelung zur Bedarfsermittlung im Tarifvertrag zur Übernahme, aber auch zahlreiche schon seit Jahren bestehende Ergänzungstarifverträge. Diese Tendenz muss bekämpft werden. Ihr müssen wir die Solidarität über Belegschaftsgrenzen hinweg entgegenstellen. Ein Anknüpfungspunkt können hierbei z.B. die Soli-Besuche bei den 24–Stundenstreiks durch KollegInnen anderer Betriebe sein.
Die Arbeitszeitfrage ist nicht von Tisch
Wir müssen jetzt damit beginnen die nächste Tarifrunde vorzubereiten. Vor allem die Forderungsdiskussion muss jetzt beginnen, es braucht eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das muss als Antwort auf die Fragen nach Digitalisierung, Industrie 4.0 aber auch schlicht Angst vor Arbeitslosigkeit in die Debatte eingebracht werden. Es müssen mehr gewerkschaftliche Veranstaltungen zu diesem Thema stattfinden, mehr Jugendversammlungen, Betriebsversammlungen, aber auch
ganz normale Pausengespräche.
[Flo, Kiel]
…Flo ist Mitglied im Ortsvorstand der IG Metall Kiel/NMS und leitet den Bereich Betrieb und Gewerkschaft im SDAJ-Bundesvorstand