Halbgöttinnen in Weiß? (POSITION #02/16)

veröffentlicht am: 30 Mrz, 2016

Was es mit dem neuen, weiblichen Gesicht der Medizin auf sich hat

Nicht erst seit dem Boom diverser, einschlägiger Fernsehserien sind Ärztinnen begehrt. Als Medizinerinnen erlangen sie (gesellschaftliche) Anerkennung und Wohlwollen bereits dadurch, gleich mehrere angesagte Rollenbilder in sich zu vereinen. Aufopferungsvoll, weltgewandt und klug, hübsch genug, um in einem weißen Arztkittel nicht furchtbar auszusehen und, sehr wichtig, finanziell ebenso unabhängig wie leistungsstark. Am allerliebsten als Kinderärztin, da darf dann auch das liebevoll-kümmernde, das ur-mütterliche Element einer jeden Frau angemessen zu Geltung kommen.
Indessen ist diese Gesellschaft nicht zimperlich damit, den Kontrast zwischen diesen überhöhten, idealisierten Rollenbildern und der harten Realität für junge Frauen mit medizinischen Ambitionen möglichst deutlich zu machen. Das beginnt bereits im Studium. In kaum einem anderen Studiengang sind die alten Seilschaften der Burschenschaften noch so präsent wie bei Medizin. Während die Medizinersöhnchen mit den entsprechenden CDU/CSU-Empfehlungsschreiben nur an die Pforten der Burschenschaftshäuser jeder x-beliebigen Unistadt zu klopfen brauchen, damit sich Probleme wie Wohnungssuche und Erstorientierung in einer fremden Stadt in Wohlgefallen auflösen, verbringen andere ihre ersten Unitage irgendwo zwischen Wohnungsamt, Notunterkunft in der Turnhalle und ungezählten WG-Castings. Um nicht missverstanden zu werden: dieses Schicksal trifft natürlich auch all jene männlichen Studierenden, die nicht über die entsprechenden Kontakte verfügen oder bereits vom Gedanken an schlagende Verbindungen Ausschlag kriegen. Doch gilt eben auch hier: als Studentin ist man doppelt blöd dran.

Oh nein,-schwanger!?
Gar nicht ins Bild, und oftmals auch nicht in das ganz reale Leben einer Medizinstudentin, passen zwei Dinge: Kinder, bzw. Schwangerschaft, und eine mangelnde materielle Ausstattung. Den Gedanken, dass ihre Studierenden neben dem Studium arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, empfinden manche Professoren nach wie vor als Makel, der mit dem hohen Ethos eines Mediziners unvereinbar ist. Das äußert sich dann in der Praxis durch wohlmeinende Ratschlägen an Studierende ohne reiche Eltern, wie mich, doch lieber eine Ausbildung zu machen, anstatt zu studieren, denn schließlich würde man dort für seine Mühen bezahlt und das passe doch sicher viel besser ins eigene Lebenskonzept. Noch abenteuerlicher wird das Ganze beim Thema Kinder. Irgendwie akzeptiert werden die, wenn alles heimlich, still und individuell abgewickelt wird. Und diese unselige Angelegenheit darf sich natürlich nicht in den Leistungen der Studierenden oder Ärztinnen bemerkbar machen. Der Gedanke im Uni- oder Krankenhausbetrieb auf junge Frauen Rücksicht zu nehmen, nur weil die sich in den Kopf setzen, sich fortpflanzen zu wollen, gilt bei vielen als absurd. Niemand behauptet heutzutage mehr Frauen hätten nichts in medizinischen Berufen zu suchen. Aber wie sie diese Berufswahl mit ihrem Privatleben vereinen, das bleibt allein ihr Problem. Da müssen und sollen dann die einzelnen Eltern kreativ sein. Zwar gibt es Frauenbeauftragte als Ansprechpartnerinnen für weibliche Studierende, auch speziell an den medizinischen Fakultäten. Doch wenn sich, wie im Fall der Universität Erlangen geschehen, schwangere Studentinnen bei ihnen melden, um Unterstützung für die Verlängerung von Prüfungsfristen zu erbitten, dann wird ihnen stattdessen von der entsprechenden Professorin nahegelegt, das Studium abzubrechen, da es für eine alleinerziehende Mutter nun mal nicht zu stemmen sei.

Ungleichmäßige Entwicklung
Seit Jahren steigt die Anzahl weiblicher Studierender in der Medizin ebenso wie die Zahl der Absolventinnen. Die Vizepräsidentin der bayrischen Ärztekammer erklärt dies auch mit der zunehmenden Unsicherheit dieses Berufs. „Für viele Männer ist der Arztberuf, der nun weniger Prestige und weniger Einkommen bedeutet, unattraktiv geworden.“ Höchste Zeit also, dass die Frauen in die Bresche springen. Das, was bei all der Euphorie über die Vielzahl der Medizinerinnen hingegen beharrlich nicht steigt, ist ihre Repräsentation in Führungspositionen. Der Anteil der Chefärztinnen liegt insgesamt zwischen 8 % und 10 %. Dem Frauenanteil von gut 60 % unter den Studierenden steht ein Anteil von 50 % bei den DoktorandInnen und nur noch 20 % bei den MedizinerInnen mit Professur gegenüber. Die Präsidentin des deutschen Ärztinnenbundes kommentiert das mit den Worten: „Auch wenn die Studienanfängerinnen im Fach Medizin bei 63 % angelangt sind, besteht aufgrund struktureller und mentaler Barrieren nach wie vor keine berufliche Chancengleichheit.“

Der liebe Osten
Dass es auch anders geht, zeigt ein kurzer Blick in die Vergangenheit und Richtung Osten. Unterhält man sich mit MedizinerInnen aus der DDR, dann zeigen sich in vielen Punkten grundsätzlich andere Ansichten. Das beginnt beim Anerkennen sozialer Ursachen für Erkrankungen, geht über die Wertschätzung einer umfassenden, kostenfreien, ortsnahen medizinischen Versorgung sowie sozialer Betreuung und Vorsorge und endet bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu Frauenförderung und Gleichstellung. Natürlich geben auch Ärztinnen aus der DDR zu Protokoll, dass nicht immer alles perfekt war. Aber sie messen der Existenz einer nicht nur in Gesetzen verankerten rechtlichen Gleichstellung, sondern auch dem Ergreifen konkreter Maßnahmen wie der Aufstellung sog. „Frauenförderpläne“ durch Gewerkschaft, Betrieb und SED eine große Bedeutung bei, wenn auch mit der Einschränkung, dass bei der Umsetzung in die Praxis noch Verbesserungsbedarf war. Und sie betonen immer wieder, wie wichtig und erleichternd es war, dass die Kinderbetreuung, auch von Medizinerinnen, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht als Privatangelegenheit der Mütter betrachtet wurde. Zum Teil sind Rudimente dieses Bewusstseins bis zum heutigen Tag an der einen oder anderen ostdeutschen Uni zu finden. Doch wie überall werden auch hier ehemalige Errungenschaften Stück für Stück zurückgenommen, weil es niemanden mehr gibt, der für sie eintritt. Das zeigt sich ganz konkret in Krankenhausprivatisierungen, Schließungen von Betriebskindergärten, dem Ausdünnen der medizinischen Versorgung und steigenden Gebühren für die Kinderbetreuung.
Viele Medizinerinnen sagen, sie hätten ihren Traumberuf ergriffen, wenn nur die Verhältnisse nicht so verdammt schwierig wären. Die gute Nachricht ist: Gegen schwierige Verhältnisse kann etwas getan werden, auf die eine oder andere Weise selbst mit dem engen Zeitplan einer Medizinstudentin oder Ärztin.

Tatjana, Rostock

Dieser Artikel erschien in
POSITION #2/2016
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