Viel Blut, viel Schnee und mehr als nur 8 Tote
Eigentlich funktionieren Tarantino-Filme nach einem ziemlich einfache Muster: Es beginnt mit der Suche nach einem nachvollziehbaren, plausiblen, historischen, sozialen oder emotionalen Grund, warum Menschen einander hassen und töten. Ist dieser Grund gefunden und erzählt, dann wird dieser Vorgang des unvermeidlichen Tötens und Getötet-werdens, in einem Rausch des Abschlachtens, Blutens und Sterbens mit einer bildgewaltigen, unverstellten Heftigkeit wieder und wieder in Szene gesetzt. Wobei „in Szene gesetzt“ eigentlich eine zu schwache Bezeichnung ist. Das Ganze wird mit einer unglaublichen Liebe zum bluttriefenden, sprudelnden und spitzenden Detail regelrecht zelebriert. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die Faszination für das Geschehen entsteht durch die Kombination dieser Szenen mit jenen voller filmischen Könnens, in denen der Zuschauer mit jeder Faser spürt, dass Alles auf das große Töten hinausläuft, die Protagonisten auf dem Weg dorthin aber zunächst bei jeder kleinen Regung und Äußerung mindestens ebenso detailreich und in Nahaufnahmen beobachtet und portraitiert werden, wie später ihr blutiges Ableben. Wer mit diesem wiederkehrenden Grundmuster der Filme von Quentin Tarantino ein Problem hat, und man könnte durchaus fragen, ob es ausgekotzte Blutfontänen und weggeschossene Hinterköpfe in Nahaufnahme denn wirklich braucht, der sollte sie sich auch nicht antun, denn ihre Darstellung ist nun einmal Teil des Konzeptes. Doch gerade in den Fällen, wo sich Tarantino historische Begebenheiten als Kulisse und Inspiration gewählt hat, wurde immer wieder argumentiert, dass es eben nicht der Film und auch nicht der Regisseur waren, die blutrünstig sind, sondern die dargestellte Zeit.
Leben und Sterben in Wyoming
Das trifft auch auf „The Hateful 8“ zu: Einige Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg treffen sich in einer eingeschneiten Blockhütte im winterlichen Wyoming diverse Charaktere, die jeden Grund haben, einander zu hassen. Zwei Kopfgeldjäger, einer davon ein schwarzer, ausgemusterter Mayor der Nordstaaten-Armee, eine Gefangene auf dem Weg zur Hinrichtung, ein britischer Henker, ein alternder Südstaaten-General, ein undurchsichtiger Mexikaner, ein verlogener Cowboy und ein rassistischer, paramilitärischer Südstaaten-Freischärler auf dem Weg Sheriff zu werden, eingepfercht auf engstem Raum. Eine Kombination, die nicht lange ohne Tote auskommt. Mit am eindringlichsten ist ein Dialog, den Mannix, der Südstaaten-Freischärler, der mit seiner Bande auch nach Kriegsende weitergekämpft und Jagd auf freigelassene Schwarze gemacht hat, und der schwarze Nordstaaten-Mayor zu Anfang des Films führen. Der Mayor meint, die Konföderierten hätten an seiner Fähigkeit sie umzubringen Anstoß genommen und deshalb ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, nachdem er aus dem Kriegsgefangenenlager Wallbeck entkommen war. Zu diesem Zweck zündete er das Gefängnis einfach an.
Mannix: „Es war ein Ausbildungsregiment über Nacht dort untergebracht. 47 Männer, verbrannt bei lebendigem Leib, die Jugend des Südens, Farmersöhne, die Besten der Besten!“
Mayor: „Und ich sage: lass sie brennen. Soll ich mich dafür entschuldigen, Südstaatler getötet zu haben? Ihr seid doch in den Krieg gezogen, um Nigger in Ketten zu halten. Ich bin in den Krieg gezogen, um Niggerhasser zu töten. […] Ich bin euch entwischt und ich hab nicht zurückgeschaut, bis ich die Grenze zum Norden überschritten hatte.“
Mannix: „Oh, aber hat nicht eine Überraschung auf dich gewartet, als die Grenze zum Norden endlich hinter dir lag? Du hast auch ein paar von deinen eigenen Jungens abgefackelt, oder Mayor? Wie viele verbrannte Leichen hat man zum Schluss gefunden? Lag die abschließende Zahl der Yankee-Toten nicht irgendwo bei 37?“
Mayor: „So ist das eben im Krieg, Mannix, Menschen sterben.“
Mannix: „[…] Ich denke die hielten 37 weiße Männer für einen Nigger für ein nicht ganz so gutes Geschäft. Ich glaube sogar die unterstellten dir, ein blutrünstiger Nigger zu sein, der nur in den Krieg wollte, um lauter Weiße zu ermorden und ob in blauen oder grauen Uniformen war dir dabei ziemlich egal. Und deshalb haben sie auch später deinen schwarzen Arsch aus der Kavallerie geschmissen, weil du ein feiger Mörder bist. Aber deine Verdienste waren gigantisch und das hat dir den Arsch gerettet. Du hast immer schön fleißig jede Menge Rothäute erledigt, ist doch so, schwarzer Mayor? Die Kavallerie hat das durchaus gern gesehen.“
Grausame Grundlage
Schöner lässt sich die Zerrissenheit, Ambivalenz und latente Gewalttätigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika kurz nach dem Bürgerkrieg kaum wieder geben. So ist es dann auch nur konsequent, dass nach dem vorhersehbaren Gewaltausbruch und dem Erscheinen eines gemeinsamen Feindes, in Form einer kriminellen Bande, ausgerechnet diese beiden Figuren widerwillig zueinander finden. Die neue, wenn auch etwas widerwillig geeinte Staatsmacht der USA, repräsentiert durch den schwarzen Soldaten in Nordstaaten-Uniform und den geplanten Sheriff mit Südstaaten-Vergangenheit raufen sich schließlich zusammen. Sie vollziehen mit ihrem letzten Atemzug das Recht, indem sie die Kriminelle hängen, und verbluten dann gemeinsam Seite an Seite. Was für eine dramatisch-sinnbildliche Grundsteinlegung für die beste aller Nationen. Eine Nation, die zerrissen bleibt. Noch nie wurden in den USA so viele Schwarze durch die Polizei erschossen wie 2015. Jedes fünfte Kind in Amerika ist arm. Die tatsächlichen Gewaltverhältnisse finden ihre Entsprechung in Tarantinos Gewaltexzessen. Am Ende bleibt als Resümee: Der Film ist, was die Bildsprache angeht, solides Tarantino-Handwerk, doch der politisch-historische Hintergrund für das unvermeidliche Blutbad war schon mal progressiver.
The Hateful 8, Quentin Tarantino, USA 2015
Tatjana, Rostock