Marxistischer Spickzettel (POSITION #02/16)

veröffentlicht am: 30 Mrz, 2016

Der Rechtsstaat

In der Schule stolpern wir früher oder später über den Begriff des „Rechtsstaats“. Er glorifiziert das Rechtssystem der BRD und verteufelt gleichzeitig den „Unrechtsstaat“ DDR. Auf diese Weise wird eine sachliche Diskussion über Alternativen zu den bestehenden Verhältnissen insbesondere über einen sozialistischen Gegenentwurf erschwert. Wer will schon einen „Unrechtsstaat“ verteidigen?
Von zentraler Bedeutung im deutschen Rechtssystem sind „Freiheit“ und „Gleichheit“ sowie das Privateigentum – vor allem an Produktionsmitteln. Ohne die viel gelobte Freiheit und Gleichheit der BürgerInnen würde der Kapitalismus nicht funktionieren. Schließlich ermöglichen sie den BürgerInnen, am freien Markt Verträge frei auszuhandeln. Sie dienen also zur Erhaltung der kapitalistischen Eigentums- und damit auch Herrschaftsverhältnisse. Diese gesetzlich garantierte Freiheit führt dann im Ergebnis zur Ungleichheit. Alle haben die Freiheit, sich eine Villa oder eine Yacht zu kaufen, ein Medienunternehmen zu gründen oder eine Lobbyorganisation zu finanzieren – nur leisten können es sich eben nicht alle. Die reichsten10 % besitzen über die Hälfte des Nettovermögens in Deutschland. Warum? Weil sie die Freiheit haben, anderer Leute Arbeitskraft zu kaufen, die diese, weil sie nichts anderes haben, verkaufen (müssen). Der Profit gehört aber nur ersteren. Die Justiz verankert also nur die Ungleichheit zwischen den Kapitalisten und den ArbeiterInnen, indem sie die formale Gleichheit garantiert. Besondere Bedeutung kommt aber auch dem Schutz des Privateigentums zu. Ohne dieses wäre es unmöglich, am freien Markt Geschäfte zu schließen. Deswegen ist es die Aufgabe des Staates und seiner Justiz, die kapitalistische Eigentumsordnung zu sichern. Es wird also deutlich, dass das Rechtssystem der BRD nicht mehr ist als der juristische Überbau über die kapitalistische Basis.
In diesem Rahmen ist der Sinn der Justiz, den Kapitalismus zu erhalten und zu schützen. Während des Faschismus unterzeichneten Richter reihenweise Todesurteile oder gaben Mord, Folter und Einkerkerung einen juristischen Anstrich. Für dieses Mitwirken am Faschismus wurden nach 1945 so gut wie keine Richter belangt, die Mehrheit von ihnen blieb in der BRD, im Unterschied zur DDR, in Amt und Würden. Die fadenscheinige Begründung dafür war, anderes Personal stünde nun einmal nicht zur Verfügung. Das führte dann zu solchen Urteilen wie dem des Bundesgerichtshofs (BGH) im Januar 1956, der über die Forderung der Sinti-und Roma nach Entschädigung verhandelte. Ihr Antrag wurde trotz tausender Verfolgter und in KZs Ermordeter abgelehnt. Im Urteil heißt es, die Verfolgungsmaßnahmen zur Zeit des Faschismus seien von den „Zigeunern“ durch „Asozialität, Kriminalität und Wandertrieb“ selbst veranlasst gewesen. Zitat: „(…)es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremden Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.“
Vor den selben Richtern standen in den 50er Jahren auch tausende KommunistInnen, die aufgrund ihrer politischen Auffassungen verfolgt und verurteilt wurden. Am deutlichsten wurde das schließlich 1956 mit dem Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht.
Doch auch heute ist der Klassencharakter der BRD-Justiz offensichtlich. Das erste Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte, weil zu viele V-Leute unter den Funktionären gewesen seien, um die NPD verbieten zu können. Und nur allzu oft schenken bundesdeutsche Richter Polizisten vor Gericht selbst bei sich widersprechenden Geschichten mehr Glauben als anderen Zeugen. Denn man steht ja gemeinsam auf der unfehlbaren Seite des Rechts. So geht Rechtsstaat in der BRD.

Anki, Nürnberg

Dieser Artikel erschien in
POSITION #2/2016
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