Am 11.09. wurde Max Zirngast in der Türkei freigesprochen, nachdem er dort vor einem Jahr festgenommen wurde. Ein Interview.
POSITION: Was wurde dir vorgeworfen?
Max: Der Vorwurf lautete “Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation”. Konkret handelte es sich dabei um die Kommunistische Partei der Türkei/Funke. Es ist zweifelhaft, ob es die Organisation noch gibt. Aktiv ist sie offenbar seit Jahren nicht mehr. Mein ganzes Leben wurde in der Anklageschrift absurderweise zum “Beweis” für diesen Vorwurf. Von den Büchern in meiner Wohnung zu den Texten, die ich geschrieben hatte, von Treffen mit irgendwelchen Menschen bis zu meinen Reisen in der Türkei wurde alles in die Anklageschrift gepackt.
Wie waren die Haftbedingungen? Was gab dir in dieser Zeit die Kraft, um durchzuhalten?
Max: Die Haftbedingungen waren für mich nicht so schlecht. Das hat zum Großteil damit zu tun, dass ich Europäer bin und außerhalb der Mauern viele UnterstützerInnen hatte. Was die Behandlung in den Gefängnissen betrifft wird sehr stark zwischen den jeweiligen Betroffenen differenziert. Menschen aus der militanten kurdischen Bewegung werden ganz anders behandelt. Zudem sind die Bedingungen in Ankara, in der Hauptstadt, mit vielen MenschenrechtsaktivistInnen, AnwältInnen und ParlamentsabgeordetInnen sicher besser als in Gefängnissen in den kurdischen Provinzen oder anderen Provinzstädten. Trotzdem wurden mit dem Ausnahmezustand viele Rechte beschränkt und nach Aufhebung desselben wurden viele Beschränkungen nicht wieder aufgehoben. Z.B. muss die Liste an maximal drei nicht-familiären BesucherInnen seit dem Ausnahmezustand der Polizei zu einem “Sicherheitscheck” übergeben werden, der bis zu zwei Monaten dauern kann. In meinem Fall kam nach etwas über zwei Monaten die Ablehnung der Liste ohne Begründung. Was mir in dieser Zeit Kraft gegeben hat, war einerseits die Unterstützung meiner Familie auf allen Ebenen, andererseits die großartige Solidaritätskampagne in Europa und auch die Solidarität der GenossInnen und FreundInnen in der Türkei. Mein Zellenkollege, Freund und Genosse Mithat war schon davor im Knast gewesen und hat mir vor allem anfangs sehr geholfen, mich zurechtzufinden.
Siehst du einen Zusammenhang mit dem Fall Deniz Yücel vom Springerverlag?
Max: Es gibt in der Türkei verschiedene Formen von politischer Justiz. In einigen, eher wenigen Fällen nehmen höchste staatliche Stellen direkt Einfluss auf quasi jeden Schritt des Verfahrens. In den meisten Fällen handeln diverse Staatsapparate, wie z.B. die Anti-Terror Polizei, in relativer Eigeninitiative. Selbstverständlich haben diese allgemeine Vorgaben und allgemeine Rahmen, innerhalb derer sie sich bewegen, aber es wäre falsch anzunehmen, dass in Fällen wie unserem höchste Stellen direkt alle Entscheidungen treffen. Im Fall Yücel war das wohl anders. Es ist ja auch kein Zufall, dass ich nie von irgendeiner/m VertreterIn des türkischen Staates angesprochen wurde, Deniz Yücel aber die ganze Zeit vom Präsidenten selbst thematisiert wurde. Es handelte sich um eine bewusste provozierte Krise zwischen der Türkei und Deutschland und spielte sich deswegen auf einer ganz anderen Ebene ab. Während er tatsächlich in erster Linie eine zwischenstaatliche „Geisel“ war, war ich ein Kollateralschaden der „üblichen“ Form der Repression gegen linke, demokratische Strukturen. Aus diesem Grund und weil Deniz für Mainstreammedien schreibt, war die Unterstützung für ihn natürlich in ganz anderen Dimensionen.
Das Interview führte Anki, Neumarkt
Max Zirngast ist Journalist und linker Aktivist. Seit 2015 schreibt er von Ankara aus für linke Zeitungen, wie z.B. die Junge Welt und das re:volt magazine.
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