Als gelernter Kaufmann im Einzelhandel, auch wenn ich nicht mehr im Handel arbeite, habe ich den Tarifabschluss bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Verkauf gespannt beobachtet. Ich weiß von den Problemen dort: Zum Beispiel der Tatsache, dass Personal so knapp bemessen ist, dass, wenn du krankheitsbedingt ausfällst, deine KollegInnen das Ganze ausbaden müssen, weil man nicht genug Personal einstellt, um solche Ausfälle auszugleichen. Oder dass man am Wochenende eigentlich nie frei hat, weil da am meisten Umsatz gemacht wird. Ich weiß von der miserablen Bezahlung und der hohen Teilzeit-Quote, vor allem bei Frauen, die dafür sorgt, dass man sich keine Rechnungen leisten kann. Ich weiß aber auch, dass der Einzelhandel eine sehr hohe Fluktuation hat, dass heißt, dass sehr viele ArbeiterInnen häufig nur für kurze Zeit in einem Unternehmen bleiben und dann die Firma wechseln, und weiß auch, dass die Konzernleitungen häufig sehr hohen Druck auf die ArbeiterInnen ausüben, wenn es um Betriebsratsgründungen oder Streikaktionen geht. Gerade die letzten beiden Punkte machen eine Tarifauseinandersetzung sehr schwierig.
Der Anteil der gewerkschaftlich organisierten KollegInnen im Einzelhandel ist häufig sehr gering. Deshalb verwundert mich der Tarifabschluss im Einzelhandel nicht, den es Anfang November gab. Auch wenn ich bei all den vielen Aktionen der letzten sechs Monate gehofft hatte, dass mehr für alle drin sein muss, denn gefühlt haben sich immer mehr Menschen in dieser Branche organisiert und tun es hoffentlich in Zukunft weiter. Doch am Ende bleibt auch dieser Abschluss eine Nullrunde, auch wenn ver.di ihn als Erfolg feiert.
Kaum verwunderliche Nullrunde
Der bayrische Handelsverband, also die Kapitalistenseite, fasst das Ergebnis auf seiner Webseite ganz gut zusammen: „Die Einigung in Bayern sieht bei einer 24-monatigen Laufzeit im ersten Jahr nach vier Nullmonaten eine Erhöhung der Entgelte um 3 Prozent (aber maximal 81,24 Euro) vor. Dies entspricht unter Berücksichtigung der Nullmonate – je nach Gehaltsgruppe – einer prozentualen Erhöhung zwischen 1,2 Prozent und 2 Prozent im ersten Tarifjahr. Im zweiten Jahr erhöhen sich die Tarifentgelte um weitere 1,7 Prozent.“ In den allermeisten Bundesländern sieht das Ergebnis sehr ähnlich aus. Die Azubis erhalten eine Erhöhung von 30 Euro, mit Ausnahme von Bayern und Sachsen, dort sind es nur 20 Euro. Wenn man bedenkt, dass die Inflation in diesem Jahr bei 2,7%, im Oktober sogar bei 4,5% lag, ist das mehr als traurig. Nicht nur traurig, sondern verhöhnend ist dann noch dieser Satz der Kapitalistenseite: „Leider geht dieser Abschluss über die Belastungsgrenze der Unternehmen hinaus, die von den coronabedingten Schließungen betroffen waren.“ Denn abgesehen von der Tatsache, dass gerade der Lebensmittelbereich, in dem die meisten Einzelhandelsbeschäftigten tätig sind, Rekordgewinne seit Beginn der Pandemie erzielt, sind die anderen Bereiche des Handels, die im Arbeitgeberverband vertreten sind, durch staatliche Unterstützung oder boomendes Onlinegeschäft nicht gerade leer ausgegangen. Die Kohle ist da, um die KollegInnen besser zu bezahlen, der Wille fehlt. Es auf Covid zu schieben, passt da, ist aber selbstverständlich gelogen. Das zeigt sich auch am Beispiel Amazon: Der Konzern weigert sich, in Deutschland einen Tarifvertrag abzuschließen, obwohl gerade Amazon der Krisengewinner schlechthin ist. Trotz der breiten Streikaktionen durch ver.di bei Amazon gehen die Beschäftigen leer aus und sind den steigenden Preisen hilflos ausgeliefert. Bleibt zu hoffen, dass sich in den nächsten zwei Jahren immer mehr KollegInnen organisieren, denn das bleibt am Ende die einzige Lösung.