Ein Mann, die Gitarre fest in der Hand, aufrecht sitzend und mit Blick nach vorn, singt, nein, schreit sich die Empörung aus dem Leib. Es ist ein Bild aus vergangenen Zeiten. Aus schwarzweißen Zeiten einer Bundesrepublik, die gezeichnet waren von Faschismus und Krieg. So scharf sein Blick, so kompromisslos war seine Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Verhältnisse, in denen in modrig-braunem Mief „alte Herren neu aufgestellt“ wurden. In dieses Land – „Unser Land“, so der Titel des Liedes – hat er in den 1960er Jahren hinein geschrien. Und eine ganze Generation hörte ihm zu. Nun ist Franz Josef Degenhardt im Alter von 79 Jahren gestorben.
Der bekannteste deutsche Liedermacher wurde 1931 im westfälischen Schwelm geboren. Aufgewachsen in einer „militant-katholischen und antifaschistischen Familie“ (wie er selbst immer betonte) erfuhr er die Widersprüche des Kapitalismus mit seiner damaligen Spießbürgerlichkeit. So beschaulich die Idylle des Kleinstadtkatholizismus, so beängstigend war ihm die biedere Gemütlichkeit des „Deutschen Sonntags“, so ein anderer Liedtitel. Er wollte Anwalt sein – für all diejenigen, die in diesem ganzen „Sonntagseinerlei“ keinen Platz fanden – und nicht zuletzt deshalb studierte er Jura, wurde Rechtsanwalt und verteidigte Mitglieder der Außerparlamentarischen Opposition. Seine Lieder besangen die Tapferen und Aufrechten, „die sich vor Raketen bei Eis und Schnee auf die Straße setzten“ („Lied für die ich es sing“). Im Protestjahr 1968 sah er angesichts der staatlichen Repression gegen Linke und Kommunisten ein: „Da genügen keine Lieder mehr.“ Schon als SPD-Mitglied setzte er sich für eine Zusammenarbeit mit der neu gegründeten DKP ein – er wurde aus diesem Grund auch 1971 aus der SPD ausgeschlossen – und trat der DKP schließlich 1978 bei. Zu diesem Zeitpunkt war Degenhardt bereits ein gefeierter Liedermacher (1965 erschien seine wohl bekannteste Platte „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“). Als bekennender Kommunist wurde er jedoch mit „Großer Schimpflitanei“, so ein weiterer Titel, von der bürgerlichen Presse als „Drecksau mit dem Ulbrichtbart“ ausgegrenzt. Aber er blieb der Partei und der Solidarität mit dem realen Sozialismus bis zuletzt treu, trotz Kaltem Krieg, Berufsverboten und parteiinternen Krisen. Dort, so sagte er, sah er über das große Ganze hinaus das Gute.
Die schlagfertigste Waffe, die Degenhardt besaß, war das politische Lied. In ihm klagte er – radikal und sarkastisch – den bundesrepublikanischen Kapitalismus an. In seinen Liedern verlieh er – melancholisch und lyrisch – den Ausgebeuteten und Unterdrückten eine Stimme. Denn „ohne die, für die ich es sing, hätt alles keinen Sinn“ („Lied für die ich es sing“). Das Besondere an dieser „Klampfenpolitik“ war das Konkrete, das aktuell Gesellschaftliche, das jeder verstand. Und wer hat ihn nicht selbst schon einmal erfahren, den provinziellen Mief der scheinbaren „Wohlstandsgesellschaft“, in der die Kleinbürger um das größere Auto, den gepflegteren Rasen miteinander in erbitterte Konkurrenz treten? Wer ist nicht schon einmal erschaudert bei all der deutsch-nationaler Gefühligkeit, die alles Andersartige, alles Unangepasste ausgrenzt? All das singt Degenhardt so süßlich und so bitterböse zugrunde. Aber er sang nicht nur, er schrieb auch mit seinen Romanen gegen die herrschenden Verhältnisse an. Seine Helden sind Dissidenten und Rebellen – ob Arbeiterkinder, die gegen den Faschismus kämpfen („Zündschüre“) oder eine Bürgerinitiative, die gegen einen NATO-Truppenübungsplatz protestiert („Brandstellen“). In seinen Romanen zeigt er, dass es sich zu kämpfen lohnt.
Trotz der Niederlagen und Rückschläge hat Degenhardt nie die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft aufgegeben: „In dieser Epoche haben wir die Schlacht verloren. Aber es geht weiter. Ich hoffe da ganz auf unsere Enkel und Ur-Enkel.“
Carolin, Trier