“Wenn ihr den Präsidenten töten wollt, hier bin ich!”

veröffentlicht am: 16 Jan, 2011

Putschversuch in Ecuador – eine Reportage.

Es riecht nach verbranntem Gummi, Rauch steigt auf, auf der Straße schwelen noch die Reste verbrannter Autoreifen – unser Bus passiert die mittlerweile aufgelöste Polizeisperre vor der Hauptstadt Quito. “Der Generalstab der Armee erklärt sich hiermit als loyal gegenüber dem obersten Befehlshaber, dem Präsidenten der Republik Ecuador, Rafael Correa… Wir fordern die Polizei auf wieder in ihre Kasernen zurück zu kehren und weitere Aktionen zu unterlassen… Wir fordern den Präsidenten und die Regierung auf, das Gesetz über den öffentlichen Dienst zurückzuziehen”, hören wir im Radio. Es gibt Plünderungen, die Abwesenheit der Polizei wird ausgenutzt. In Quito angekommen stellen wir fest, dass alles lahm liegt. Die Geschäfte im Busterminal haben geschlossen, die Busse in der Stadt fahren nicht.

„Hier bin ich!“

In der Unterkunft angekommen läuft der Fernseher. So langsam setzen sich die Puzzleteile zusammen: Die Regierung des links-sozialdemokratischen Präsidenten Rafael Correa hatte ein Gesetz zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes verabschiedet, welches u. a. die Zeit zwischen zwei Beförderungen verlängert und Bonuszahlungen abschafft. Das gilt für alle im öffentlichen Dienst, also auch für Militär und Polizei. Die Neuregelungen sollen die Korruption eindämmen. Gleichzeitig wurden in den letzten Jahren die Löhne und Gehälter in Polizei und Militär ca. verdoppelt.

„Wenn ihr den Präsidenten töten wollt, hier bin ich!”, ruft Correa und reißt sich das Hemd über der Brust auf. Wir sehen live im staatlichen Fernsehen zu. Correa befindet sich in einer Polizeikaserne und hält eine Rede. Er will das Gesetz erklären und die Polizei beruhigen. Neben ihm explodiert eine Gasgranate, er wird ins Polizeikrankenhaus gebracht und dort behandelt. Nach der Behandlung halten ihn die Aufständischen dort fest. Das Fernsehen spricht von einer Entführung.

Putsch verhindert

Correa gibt per Handy aus dem Krankenhaus Interviews, während die Demonstrationen für seine Freilassung langsam abebben. Der Ausnahmezustand ist verhängt worden, die Polizei schießt scharf und geht gewaltsam gegen die Demonstranten vor – insgesamt sollen es über den Tag verteilt an verschiedenen Orten über 20.000 gewesen sein. Es gibt Gefechte zwischen Polizei und Militär am Krankenhaus, in dem sich Correa befindet. Es gibt die ersten Toten – live im TV. Am Abend befreit eine Spezialeinheit des Militärs den Präsidenten und bringt ihn zu einem Platz im Stadtzentrum. Auch wir befinden uns wenig später auf dem Weg dorthin. Correa hält gegen 22.30 Uhr eine Rede über den Putsch, das Gesetz, die Bürgerrevolution. Etwa 1000 Menschen befinden sich auf dem Platz. Sie feiern “ihren” Präsidenten und das Scheitern des Putsches.

Revolution – aber wie?

Seit 2007 ist Rafael Correa Präsident von Ecuador. Er gewann die Wahlen mit einem fortschrittlichen, sozial-reformerischen Programm. Seitdem sucht Ecuador die Zusammenarbeit mit den anderen linken Regierungen in Lateinamerika: Mit Bolivien und Morales, mit Venezuela und Chavez. Und natürlich mit Cuba. In diesen Ländern hatte es in der Vergangenheit mehr als einen Putschversuch gegeben. Jede Einschränkung der Macht der Unternehmer, jede Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung wurde mit wütenden Angriffen von rechts beantwortet. Nun auch in Ecuador.

Es spricht vieles dafür, dass die Opposition um den Ex-Präsidenten Lucio Gutierrez hinter dem Putschversuch steckt. Dennoch war die rechte Opposition an diesem Tag nicht besonders gut organisiert – ein Glück für die Revolutionäre und ihre Regierung. Denn auch die Linken waren kaum zu einer gemeinsamen und entschlossenen Antwort auf den Angriff im Stande. Viele kritisieren die Politik Correas, sie sei nicht konsequent, die sozialen Verbesserungen blieben unvollständig. Deshalb waren auch einige Linke Kräfte unsicher, ob der Aufstand der Polizei nicht etwas Gutes habe. Die Kritik an Correa hat dazu geführt, dass Teile der Linken blind wurden gegenüber der Gefahr eines rechten Putsches und einer konterrevolutionären Militärdiktatur.

Wahrscheinlich ist es allein dem Militär zu verdanken, dass dieser Tag doch noch eine gute Wendung genommen hat. Nachdem die Armee anfangs zögerte und die Luftwaffe sich mit der Besetzung des internationalen Flughafens in Quito sogar direkt am Putschversuch beteiligte, stellte sich das Militär am frühen Nachmittag doch hinter den Präsidenten.

Der Kampf geht weiter

Doch auch nach dem gescheiterten Putsch gehen die Auseinandersetzungen in Ecuador weiter. Am 25. Oktober verübten rechte Kräfte ein Attentat auf den Generalsekretär der Kommunistischen Jugend Ecuadors (JCE), Edwing Perez. Die Rechten hatten die Wahlen im Ecuadorianischen Studentenverband manipuliert, doch die Linken – unter ihnen Edwing – konnten dieses Manöver vor Gericht vereiteln. Nach dieser Niederlage griffen die Rechten zum Mittel der Gewalt. Zwei Wochen nach dem Attentat erklärten die Ärzte Edwing für tot.

„Die Verbrecher wollen […] den Prozess der Radikalisierung der Bürgerrevolution untergraben […]. Sie sind die Schuldigen an Edwings Tod“, erklärte die JCE. Die Revolution muss weitergeführt werden, um zu überleben. Für die Kommunisten in Ecuador heißt das: „Für unsere Toten keine Schweigeminute, sondern ein ganzes Leben des Kampfes!“

Anne, Sebo, Julia und Jann, Quito (Ecuador)
Dieser Artikel erschien in POSITION – Magazin der SDAJ #6/2010.

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