Das deutsch-türkische Verhältnis

veröffentlicht am: 19 Apr, 2017

Ein Kommentar zur Doppelmoral

Der türkische Präsident Erdogan unterstellt der Bundesregierung „Nazimethoden“. Und zwar, weil deutsche Behörden Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland untersagt haben. Diese hatten zum Ziel, die hier lebenden türkischen StaatsbürgerInnen davon zu überzeugen, beim Referendum für die Einführung einer arbeiter-und volksfeindlichen Präsidialdiktatur in der Türkei zu stimmen.Die Bundesregierung hingegen stellt sich als moralisch überlegen dar und kritisiert zumindest in der Öffentlichkeit den reaktionären Staatsumbau in der Türkei.

Die deutsche Regierung als neuer Freund der türkischen Arbeiterklasse?

Ist deswegen die deutsche Regierung zum neuen Schutzpatron der arbeitenden Menschen in der Türkei geworden? Ganz bestimmt nicht. Viel mehr als eine gute Portion Heuchelei steckt natürlich nicht dahinter. Andersherum haben auch die Herrschenden in der Türkei kein Interesse an ernsthaftem Ärger mit Deutschland. Und Merkel zielt weiterhin auf eine Einigung mit Erdogan ab. Denn abgesehen von der aktuellen medialen Schlammschlacht arbeiten der türkische und der deutsche Imperialismus noch immer prächtig zusammen – vor allem, wenn es gegen die Arbeiterklasse geht. Bei der gemeinsamen Verfolgung von fortschrittlichen AktivistInnen scheint man sich einig zu sein, Nazivergleiche hin oder her. So läuft seit Juni 2016 ein Prozess in München, in dem zehn Mitgliedern eines migrantischen Arbeitervereins vorgeworfen wird, Mitglieder in der TKP/ML zu sein – einer Partei, die in der Türkei verboten ist, jedoch nicht in Deutschland oder der EU. Zuletzt wurden durch Innenminister de Maizière 33 Symbole von legalen kurdischen Organisationen verboten.

Deutsche „Naziwaffen“ an die böse Türkei?

Deutsche Konzerne verkaufen weiter fleißig Waffen an die Türkei. Allein 2016 wurde Kriegsmaterial im Wert von etwa 84 Millionen Euro geliefert, mit freundlicher Genehmigung der Bundesregierung, versteht sich. Gleichzeitig sind sogar Luftwaffeneinheiten der Bundeswehr in der Türkei selbst stationiert, um im Syrienkrieg mitzumischen. Die türkische Regierung erhält im Rahmen des Flüchtlingsabkommens Milliarden dafür, die EU-Außengrenze gegen Flüchtlinge abzuschotten und Menschen, die aus den EU-Ländern abgeschoben werden, aufzunehmen. Nicht zuletzt verdeutlicht deshalb auch dieser Deal die gegenseitige Abhängigkeit.

Also wozu das ganze Theater?

Erdogan versucht wie immer sich den türkischen WählerInnen als starker Mann zu präsentieren. Auch in Deutschland gehen einige hier lebende TürkInnen seinen Nazivergleichen auf den Leim. Nicht verwunderlich, denn sie sind seit Jahrzehnten Opfer rassistischer Hetze durch Politik und bürgerliche Medien. Indessen präsentiert sich die deutsche Regierung ihren BürgerInnen als kritisch gegenüber dem türkischen Regime, während sie selbst MigrantInnen kriminalisiert und Demokratieabbau betreibt. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass wir uns nicht spalten lassen, sondern gemeinsam den Kampf gegen die reaktionären Entwicklungen in der Türkei, wie auch in Deutschland, führen.

Lars, Gießen

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