Vor 95 Jahren: Auflösungen von Arbeiterregierungen durch die Reichs-SPD (POSITION #5/18)
WAS 1923 GESCHAH UND WAS WIR DARAUS LERNEN KÖNNEN
1923 befand sich das Deutsche Reich in einer tiefen Krise. Nachdem die Entente der Ansicht war, dass die vom Deutschen Reich gezahlten Reparationszahlungen nicht mehr „angemessen“ seien, besetzten französische und belgische Truppen Anfang des Jahres das entmilitarisierte Rheinland. Daraufhin rief die Regierung unter Reichskanzler Cuno zum passiven Widerstand gegen diese Besetzung auf. Das Rheinland war das wichtigste Industriezentrum des Reiches und die Regierung entschädigte die bestreikten Kohle- und Stahlkonzerne mit Milliardensummen. Da für diese Zahlungen immer mehr Geld gedruckt wurde, entwerte sich die Mark rasant. Es kam zur Hyperinflation: am 20. September 1923 kostete ein Kilogramm Schweinefleisch, für das man 1919 noch 8,40 Mark bezahlte, 6600 Milliarden Mark. Zudem stieg die Arbeitslosigkeit von 1921 bis 1923 von einer auf vier Millionen Menschen an. Erst Mitte August trat Cuno zurück und wurde von Gustav Stresemann abgelöst. Dieser bildete mit der SPD eine große Koalition, beendete den passiven Widerstand und dämmte so die Unzufriedenheit etwas ein. Ende September wurde dann im Deutschen Reich der militärische Ausnahmezustand ausgerufen. Grund dafür war angeblich die Lage in Bayern. Dieses entwickelte sich seit 1919 zur „Ordnungszelle des Reiches“ und wurde Zufluchtsort für Faschisten. Aus Protest gegen den Abbruch des Ruhrkampfes wurde dort von Kahr, welcher sich 1920 in Bayern an die Macht putschte, Ende September 1923 zum Generalstaatskommissar ernannt und erhielt diktatorische Vollmachten. Er verhängte noch am selben Tag den Ausnahmezustand in Bayern: KommunistInnen und SozialdemokratInnen wurden verfolgt, Juden und Jüdinnen wurden aus Bayern ausgewiesen. Doch die Reichsregierung griff nicht in Bayern ein; der sächsische SPD-Polizeioberst meinte dazu, dass „die Reichswehr nicht in der Lage sei, des Faschismus in Bayern Herr zu werden.“ Stattdessen entledigten sie sich wem anders.
DIE BEKÄMPFUNG DER ARBEITERREGIERUNGEN
Nach den Erfahrungen aus den Märzkämpfen im Jahr 1921 verfolgte die KPD eine neue Politik, die der Einheitsfront. Auf ihrem 8. Parteitag, im Jahr 1923, erklärte sie sich dazu bereit in Arbeiterregierungen, also Regierungen aus SPD und KPD, mitzuwirken. Daraufhin bildeten sich Mitte Oktober in Sachsen und Thüringen solche Regierungen. Zusätzlich formierten sich in den beiden Ländern proletarische Hundertschaften, welche über 100 000 Mitglieder zählten, um sich gegen das an sie grenzende faschistische Bayern wehren zu können.
Infolgedessen schlägt die Reaktion zu: Nachdem sich die sächsische Regierung weder von 60 000 nach Sachsen beorderten Soldaten, noch von einem Ultimatum Stresemanns einschüchtern lässt, wird sie Ende Oktober per Reichsexekution abgesetzt und von der Reichswehr gewaltsam an ihrer politischen Arbeit gehindert. Ähnliches passierte in Thüringen. Dort marschierte die Reichswehr, angeblich zum Schutz gegen illegale rechte Kampfverbände an der thüringischen Grenze, im Süden ein. Von dort aus besetzte sie jedoch wenige Tage später das Land unter dem Vorwand, dass sie Hilferufe von thüringischen Bürgern bekommen hätte, welche von den proletarischen Hundertschaften terrorisiert worden wären. Während dieser Besetzung wurden politische Immunitäten missachtet, Hausdurchsuchungen durchgeführt, 300 Menschen verhaftet, 34 ermordet und 130 verletzt.
WAS KÖNNEN WIR AUS DEM JAHR 1923 LERNEN?
Erstens: Während die Herrschenden gegen KommunistInnen soweit gingen, die KPD im November 1923 zu verbieten und gewählte, legale Regierungen zu putschen, unternehmen sie gegen die Faschisten in Bayern nichts. Offensichtlich hielt sich das Monopolkapital die Option des Faschismus für Zeiten noch größerer Krisen als im Jahre 1923 offen.
Zweitens: Die Einheitsfrontpolitik der KPD „trägt erste Früchte“. So gelang es ihr im Jahr 1923 zur führenden Kraft in der deutschen Arbeiterbewegung zu werden. Bei einer betriebsinternen Abstimmung unter Berliner Metallarbeitern im Juli des Jahres entfielen 54 000 Stimmen auf die KPD und 22 000 Stimmen auf die SPD. Die KPD hatte es, wie von Thälmann gefordert, geschafft „Fühlung mit sympathisierenden und auch rechts von der KPD stehenden Massen zu entwickeln.“ Auch die Zerschlagung der KPD im November führte nur dazu, sie darin zu bestärken, diese Politik fortzuführen.
Und drittens: Der Kampf für eine bessere Welt ist zumindest mit Teilen der SPD möglich ist. Das zeigt beispielsweise ein Auszug aus der Regierungserklärung Frölichs, welcher Staatsminister der Arbeiterregierung in Thüringen war: „Die neugebildete thüringische Regierung ist, wie die sächsische, eine Regierung der republikanischen und proletarischen Verteidigung, ihr Ziel die Abwehr der ungeheuren Gefahren, welche die Existenz der thüringischen wie der gesamten deutschen Republik und sogar das nackte Leben der werktätigen Bevölkerung täglich drohender be…